Küsse im Mondschein
entschuldigte sie beide.
Martin half ihr, in seine Karriole zu klettern, und ließ die Pferde in Richtung Park Lane traben.
»Edward?« Reggie starrte sie beide an. »Dieser Schuft! Aber, ja, ich kann mir vorstellen, dass er derjenige war. So wie der immer den Rechten und Gerechten mimt -«
»Warte!« Martin fiel ihm ins Wort.
Reggie und Amanda sahen Martin an, der vor dem Fenster der Bibliothek Stellung bezogen hatte und auf den mit grünem Laub bedeckten Innenhof hinausblickte.
»Wir sollten ihn nicht ohne Beweis verurteilen. Und genau diesen Beweis, irgendetwas, das eindeutig gegen ihn spricht, haben wir im Augenblick noch nicht.«
Amanda stimmte ihm zu. »Richtig. Alles, was wir im Moment wissen, ist, dass er es gewesen sein könnte .«
Martin seufzte. »In jedem Fall hatte Edward sowohl was Sarah betraf, aber auch im Falle von Buxton und Reggie jeweils ein wichtiges Motiv - und er hatte auch die Gelegenheit, um seine üblen Vorhaben in die Tat umzusetzen. Und das ist etwas, was wir den anderen erst noch nachweisen müssten. Aber wie dem auch sei, ich schlage vor, dass wir, bis wir irgendeinen eindeutigen Beweis gegen Edward gefunden haben, unser Temperament erst einmal wieder ein wenig zügeln.«
Reggie hatte es sich auf der Chaiselongue bequem gemacht und blickte mit grimmiger Grimasse zu Amanda hinüber, die auf ihrem Lieblingsplatz, dem Diwan saß. Sie beugte sich vor und flüsterte leise: »Könnte es Edward gewesen sein, den du an der Weggabelung gesehen hast?«
»Ja, verdammt noch mal!«, erwiderte Reggie, ebenfalls im Flüsterton. »Ich habe doch nur gesagt, dass der Kerl aussah wie Dexter, weil ich Dexter gerade erst gesehen hatte und weil er es war, der mich gefragt hatte, wie dieser Schurke aussah - damals stand ja nur er mir als unmittelbarer Vergleich zur Verfügung. Luc war es jedenfalls nicht, das weiß ich, weil dessen Haar nachts fast schon rabenschwarz wirkt. Aber wenn nicht Dexter in dem Moment vor mir gestanden hätte, dann hätte ich gesagt, der Übeltäter sah aus wie Edward.« Martin hatte ihnen den Rücken zugedreht; Reggie warf ihm einen kurzen Blick zu. »Nur leider gilt das natürlich noch nicht als Beweis.«
Kaum dass die Uhren in Martins Haus vier schlugen, kam auch schon Luc. Ein einziger Blick in Martins Gesicht genügte, und Luc fragte: »Was?«
Martin berichtete ihm, was er und Amanda in der Zwischenzeit herausgefunden hatten, gab ihm auch fast wortgetreu Amandas spontane Feststellung aus dem Park wieder.
Als Martin schließlich schwieg, ergriff Amanda das Wort und hob noch einmal hervor, wie widersprüchlich Edwards Benehmen zuweilen war: »Diese Fassade, die er sich da aufgebaut hat, ist doch in Wirklichkeit nur ein Trugbild. Er ist doch gar kein liebevoller und sorgender Bruder, nein, das ist er sogar ganz bestimmt nicht, und er ist auch nicht dieser aufrechte, moralisch nahezu unanfechtbare Gentleman, den er immer so gerne gibt.«
Luc, der sich in einen Armlehnensessel hatte sinken lassen, starrte Amanda an. Sein Gesicht war bleich, aber er schaute keineswegs ungläubig drein. Nach einem Moment des Schweigens sah er zu Martin auf und stieß schließlich einen schweren Seufzer aus. »Ich kann mich noch gut an Sarah erinnern.« Er schloss die Augen, öffnete sie dann aber rasch wieder und sah abermals in Martins Gesicht. »Und, ja, ich könnte mir vorstellen, dass Edward derjenige war.«
Das war wahrlich das Letzte, was Martin aus Lucs Mund zu hören erwartet hatte. Flüchtig runzelte er die Stirn, der Schock war ihm deutlich anzusehen. »Wie...?« Er trat noch ein wenig näher. »Bist du dir sicher?«
»Ob ich mir sicher bin, dass er es war? Nein. Aber wenn du mich fragst, ob ich mir sicher bin, dass er es gewesen sein könnte - ja.« Luc schaute Amanda und Reggie an, dann sah er wieder zu Martin hinüber. »Ich kenne ihn - den wahren Edward, meine ich - schließlich wesentlich besser als irgendeiner von euch. Was Amanda eben gesagt hat, stimmt. Das Bild, das Edward vor der Londoner Gesellschaft abgibt, stellt eine ganz andere Person dar als die, die er in Wirklichkeit ist. Und das ist ein Widerspruch in seinem Verhalten, der mir nicht erst kürzlich aufgefallen ist.«
Luc senkte den Blick zu Boden und zupfte an seinen Ärmeln. »Ich habe mich schon lange gefragt, ob es wohl nur Neid war, vielleicht eine Reaktion darauf, dass du und ich ihm im Grunde... stets ein wenig überlegen waren. Wir waren einfach besser in dem, was wir taten, wir waren stärker - was
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