Küsse im Mondschein
junge Dame sich jemals sollte locken lassen. Amanda hatte zwar noch nie davon gehört, dass sich nachweislich irgendein Drama ereignet haben sollte, nur weil ein Mädchen sich über diese Regel hinweggesetzt hatte - aber sie kannte andererseits auch keine, die jemals den Finsteren Pfad entlanggewandert wäre.
Vor allem nicht mit einem Mann wie Martin Fulbridge an ihrer Seite.
Sie warf ihm einen raschen Blick zu; er hatte offenbar bereits darauf gewartet und hielt ihren Blick unnachgiebig fest. Seine Augen jedoch waren von Schatten verhüllt, sodass Amanda nicht erkennen konnte, mit welchem Ausdruck er sie ansah. »Ich gehe mal davon aus, dass ein kleiner Spaziergang den Finsteren Pfad entlang doch recht gut in deinen Entwurf von einem spannenden Abenteuer passen müsste.«
»Richtig.« Dieser Spaziergang passte in der Tat in ihren Entwurf von einem spannenden Abenteuer - und auch noch in so manchen anderen Entwurf. Sie erkannte auf Anhieb, wenn sich ihr eine günstige Gelegenheit bot, und hier präsentierte das Schicksal ihr diese sogar auf einem Silbertablett. Mutig legte sie die Hand auf Martins Arm, trat ein wenig näher an ihn heran und fragte: »Können wir den ganzen Weg gehen?«
Er zögerte, entgegnete dann aber: »Das hatte ich eigentlich vorgehabt.«
Der Weg war schmal und gewunden. Das Strauchwerk, das den Pfad auf beiden Seiten säumte, wirkte düster, und es schien sich immer dichter an Amanda und Martin heranzudrängen, ließ den Weg nur noch geheimnisvoller und schauriger erscheinen als ohnehin schon. In unregelmäßigen Abständen fanden sich Bänke und kleine Lauben, die speziell dafür gemacht schienen, um sich in ihrem Schutz intimen Zärtlichkeiten hinzugeben. Und da der Großteil der Parkbesucher noch immer abgelenkt wurde vom Feuerwerk, war der Pfad menschenleer.
Bis auf sie beide.
Prüfend betrachtete Amanda jede einzelne Bank, jede der versteckten Gartenlauben, doch keine schien die passende zu sein für ihre Zwecke. Dann, endlich, entdeckte sie, was sie suchte: Einen kleinen, griechischen Tempel, der ein wenig abseits des Weges stand und umgeben war von dichtem Gebüsch.
»Sieh mal, Martin!« Sie zog Dexter in Richtung des Tempels. »Können wir da reingehen?«
Sie spürte, wie er sie scharf anblickte. Schließlich aber ergriff er ihre Hand und führte sie die Stufen hinauf.
Das Innere des Tempels war eine Art winziger, runder Raum - oder zumindest schien es im Dunkeln so, als wäre es ein kleiner Raum, denn die Büsche standen sehr dicht. In die Mitte hatte man ein Postament platziert, auf dem die Staue irgendeines Gottes thronte; Amanda war sich allerdings nicht sicher, welcher Gott dies sein sollte. Außer diesem Postament war wiederum nichts zu finden in dem kleinen Tempel - es herrschte leere Dunkelheit.
Aber in genau dieser leeren Dunkelheit stand sie nun mit ihrem ganz persönlichen Gott.
Martin betrachtete die Statue eingehend. Als sie die abgeschiedene kleine Nische betreten hatten, hatte Amanda ihre Finger aus den seinen gezogen. Nun glitt sie wieder dicht an ihn heran, das Geräusch ihrer Tanzschuhe auf dem marmornen Boden war so leise, dass man es kaum hören konnte.
Martins Sinne erspürten sofort, wie sie sich ihm näherte - doch zu spät. Der Anblick der Statue hatte ihn tatsächlich zu sehr abgelenkt. Es war Apollo, der den Griechen unter anderem als Gott der sittlichen Reinheit und Mäßigung galt. Martin hatte sich gerade noch gefragt, was es für ihn in diesem Tempel wohl zu finden gäbe... Nun wusste er es.
Er konnte nicht mehr schnell genug reagieren, um Amanda davon abzuhalten, dicht an ihn heranzutreten, die Hand auf seine Brust zu legen, sich an ihn zu schmiegen, hinaufzulangen und schließlich seinen Kopf zu sich herabzuziehen.
Instinktiv reagierte auch sein Körper - er konnte es nicht mehr verhindern, neigte wie in Trance den Kopf zu ihr hinab, berührte ihre Lippen, nahm sich, was sie ihm bot. Er hatte es ja versucht - für einen winzigen Augenblick hatte er versucht, sich gegen ihren Zauber zu wehren. Doch sie hatte ihn schon längst gefangen. Und trotz all seiner logischen Argumente, die dagegen sprachen, sich mit Amanda einzulassen, gab es doch auch noch einen anderen Teil in seinem Inneren, und dieser Teil wollte sie einfach nur haben.
Außerdem handelte es sich doch bloß um einen Kuss. Das zumindest sagte er sich im Geiste immer wieder vor, während er in ihren Mund einsank, die Arme um sie schlang und sie an sich zog.
Nur ein Kuss. Was konnte
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