Küsse im Mondschein
ein bisschen frische Luft schnappen.«
Amanda folgte seinem Vorschlag nur allzu gern, denn die Anstrengung, die es sie gekostet hatte, nicht in nervöses Geplapper zu verfallen, hatte sie doch ziemlich erschöpft. Draußen hingegen, inmitten der Menge, würde es sicherlich genügend Ablenkung und Erholung für ihre überstrapazierten Nerven geben. Der Aufenthalt in diesem engen Raum, eingeschlossen mit einem so großen, fast schon an ein Raubtier erinnernden Mann, war nicht gerade eine beruhigende Erfahrung für sie gewesen - noch dazu, wenn dieser Mann aussah wie die Sünde in Person. Sicherlich, vom Verstand her wusste sie, dass sie bei Martin in Sicherheit war. Und dennoch schienen alle ihre Instinkte ihr laut zu signalisieren, dass sie sich irrte.
Eingehüllt in ihren Umhang, die Kapuze schützend ins Gesicht gezogen, verließ sie an Dexters Arm das kleine Séparée. Zuerst wanderten sie wieder jenen Pfad entlang, den sie schon beim Eintreten in die Gartenanlagen genommen hatten, bis sie schließlich in eine Abzweigung einbogen. Der Nebenweg ging auf einen der Hauptflanierpfade hinaus. Sofort waren sie umringt von zahlreichen Paaren und Grüppchen, allesamt in bester Stimmung. Doch Martin und Amanda spazierten noch weiter und auf die Rotunde zu, den Mittelpunkt der in diesem Garten angebotenen Vergnügungsmöglichkeiten - und prompt wurde das Gedränge nur noch umso dichter.
Allerdings war es keine Galanacht, sodass sie, als sie die Tanzfläche erreichten, feststellten, dass zwischen den sich im Walzer wiegenden Paaren wohl auch für sie noch ein Plätzchen zu finden wäre. Sogleich zog Dexter Amanda in seine Arme und fügte sich mit ihr in den Kreis der wirbelnden Paare ein.
Sie sah auf in sein Gesicht; und er betrachtete aufmerksam das ihre. Er musterte ihre Augen, ihren Gesichtsausdruck - musste dann den Blick allerdings wieder heben, als er mit ihr eine schwungvolle Drehung vollführte. Die über ihren Köpfen wippenden Lampions tauchten sein Gesicht abwechselnd in weiches Licht und dann wieder in Schatten, ließen sekundenlang sein aristokratisches Profil hervortreten und überzogen es gleich darauf wieder wie mit einem dunklen Schleier.
Ohne nachzudenken folgte Amanda seiner Führung, ließ währenddessen ihre Gedanken abschweifen und erlaubte es sich, das sinnliche Vergnügen ganz in sich aufzunehmen. Sie war sich Martins Kraft durchaus bewusst, spürte die Gelassenheit, mit der er sie durch das Gewoge der Tanzenden dirigierte, merkte, wie er plötzlich die Arme anspannte und sie, Amanda, beschützend an sich zog, als mit einem Mal noch mehr Paare sich auf die nur bescheidene Tanzfläche drängten.
Die Leute, die Amanda und Martin umgaben, stammten aus allen gesellschaftlichen Schichten, verkörperten alle nur erdenklichen Typen von Menschen. Es gab also auch Besucher von ihrem Stande, Damen und Herren, die einfach einmal einen unbeschwerten Abend in den Vergnügungsgärten genießen wollten; manche Paare hatten sogar die gleichen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen wie Amanda und ihr Begleiter, indem die Damen sich in einen Umhang mit Kapuze gekleidet, teilweise sogar ihr Gesicht verschleiert hatten. Ein Gefühl der Verwegenheit überkam Amanda, rieselte einem prickelnden Schauer gleich über ihren Rücken, denn zum wahrlich ersten Mal in ihrem Leben wagte sie einen Flirt mit etwas Verbotenem.
Dexters Blick kehrte zu ihrem Gesicht zurück. Kühn erwiderte sie ihn, verzog die Lippen zu einem feinen Lächeln, ließ das Bewusstsein ihrer gegenseitigen Anziehung in ihren Augen aufblitzen. Sie drehten sich immer weiter, keiner wollte der Erste sein, der die Lider wieder niederschlug, keiner wollte den Blick des anderen verlieren. Selbst das Atmen erschien ihnen nur noch als zweitrangig; alles, was zählte, war die völlige Versunkenheit in den Moment.
In dem ständig wechselnden Licht, das sie umgab, schien eine Art Zauber zu liegen, der sie immer wieder hauchzart streifte und ihre Sinne kitzelte. Dies war ein Erlebnis, das genauso faszinierend war, wie Amanda es sich erhofft hatte: Gemeinsam mit Martin durch die Schatten zu wirbeln. Zwar waren sie umringt von anderen Paaren, doch Amanda und Martin hatten sich derart intensiv aufeinander konzentriert, dass sie ebenso gut ganz allein hätten sein können - sie nahmen die anderen gar nicht mehr wahr.
Schließlich endete die Musik, und sie verlangsamten ihre Schritte. Dann brach Amanda den geradezu magischen Kontakt zwischen ihnen ab und rief sich im Geiste
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