Küsse im Mondschein
klappte das Kärtchen auf - und hätte es beinahe prompt wieder fallen gelassen. Sie hatte nicht gewusst, dass Dexter ebenfalls hier war; sie hatte sich so auf ihre Rolle konzentriert, war so angespannt gewesen, dass sie Martins Blick gar nicht wahrgenommen hatte... Sie hatte ihn einfach nicht gesehen.
»Und darauf sagte ich - aber was ist denn los? Schlimme Neuigkeiten?«
Amanda schaute auf und musste feststellen, wie Lord Rawley und auch sämtliche anderen der um sie versammelten Gentlemen sie ehrlich besorgt musterten. »Ach… nein.« Augenblicklich hellten die Mienen der Herren sich wieder auf - und ebenso rasch erkannte Amanda, was der wahre Grund ihrer Besorgnis gewesen war. »Das heißt...« Sie zerknüllte die Nachricht, konnte gerade noch den Impuls unterdrücken, sich über die Stirn zu reiben. »Ich bin mir nicht so ganz sicher.«
Genau dies war es, was sie angestrebt hatte, genau hierauf hatte sie hingearbeitet. Nur, warum wartete er denn vorne in der Eingangshalle?
Sie schenkte ihren Verehrern ein letztes Lächeln. »In der Halle wartet ein Bote auf mich. Ich muss ihn unbedingt sprechen. Wenn Ihr mich bitte für einen Moment entschuldigen würdet?«
Lady Elrood war die Erste, die in ehrlich erfreutem Tonfall ausrief: »Aber natürlich, meine Liebe.«
Und noch ehe einer der Gentlemen Amanda anbieten konnte, sie zu begleiten, huschte sie auch schon davon.
Sie trat aus dem überfüllten Salon in die Eingangshalle, blickte sich sogleich in Richtung der Vordertür um, konnte zu ihrem Erstaunen aber niemanden entdecken - außer zwei Lakaien. Sie wollte sich gerade in die andere Richtung drehen und zu den Treppen hinaufschauen, als ihr bereits ihr Mantel um die Schultern gelegt wurde.
Bevor sie auch nur in irgendeiner Weise darauf reagieren konnte, wurde ihr mit einem jähen Ruck die Kapuze über das Gesicht gezerrt, und Arme wie Stahl schlangen sich um sie und hoben sie vom Boden hoch.
»Die Tür, ihr Trottel - aufmachen!«
Jeglicher Zweifel, den sie vielleicht noch über die Identität ihres Angreifers gehegt haben mochte, war sofort verflogen. Sie wand sich verzweifelt hin und her, zappelte wie wild, versuchte, nach ihm zu treten - doch alles vergeblich. Und als ihr dann endlich einfiel, laut um Hilfe zu schreien, hatte Martin sie auch schon über die Schwelle getragen und eilte bereits die Treppen hinab. Amanda fügte sich, hörte auf, sich zu wehren, und wartete darauf, dass er sie wieder absetzen würde.
Schließlich erreichte er den Bürgersteig, machte noch zwei weitere große Schritte, stemmte sie hoch - und warf sie ohne viel Federlesens unsanft auf den Sitz der dort wartenden Kutsche.
Mit einem Wutanfall versuchte Amanda, sich aus den Falten ihres Umhangs zu befreien.
Unterdessen wurde die Kutschentür bereits zugeknallt, und Amanda hörte einen barschen Ruf. Mit einem Ruck schoss die Droschke vorwärts und rollte in wahnwitzigem Tempo davon, ganz so, als ob der Teufel persönlich hinter ihnen her wäre. Endlich hatte sie sich aus ihrem Mantel befreit - und sah, wie die Häuserfassaden der Belgrave Road geradezu an ihr vorbeizusausen schienen. Wie betäubt ließ sie sich in den Sitz zurücksinken.
Wie konnte er es bloß wagen?
Sie war so schockiert, so erbost, dass sie kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Die Droschke raste unterdessen die Straßen entlang und verlangsamte selbst dann, wenn sie um eine Ecke bog, nur minimal ihr Tempo, sodass Amanda sich an den Halteriemen regelrecht festklammern musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und vom Sitz zu kippen. Erst als die Kutsche wieder langsamer wurde und schließlich abrupt stehen blieb, hatte Amanda ihre fünf Sinne wieder einigermaßen beisammen.
Sie nahm ihren Mantel und ihr Retikül, öffnete die Tür und war keineswegs überrascht, als sie feststellte, dass man sie genau an der Ecke der North Audley und Upper Brook Street abgesetzt hatte, dort nämlich, von wo aus es nur noch wenige Schritte bis zu ihrem Zuhause waren. Sie drehte sich um und öffnete ihr Retikül.
Der Droschkenkutscher allerdings hüstelte verlegen und erwiderte: »Bitte um Verzeihung, Ma’am, aber der Herr hat mich bereits recht ordentlich entlohnt.«
Natürlich hatte er das. Amanda schaute auf und lächelte - allerdings alles andere als liebenswürdig. »In dem Fall schlage ich vor, dass Ihr schleunigst wieder verschwindet.«
Dem wollte der Kutscher offenbar nicht widersprechen. Sie wartete noch, bis die Droschke um die Straßenecke
Weitere Kostenlose Bücher