Küsse im Mondschein
gegenüberfinden, dem er sich um keinen Preis der Welt stellen wollte. Er wollte nicht mehr von jenem Leben träumen, das er schon lange für begraben gehalten hatte; wollte nicht noch einmal die Hoffnung erwecken, nur um dann erkennen zu müssen, dass sie schon längst und unwiderruflich zerstört war. Außerdem wusste er, dass durch die Verbindung mit ihm dann auch Amandas Ruf beschmutzt wäre - ihre Anteilnahme an seinem Schicksal würde sicherlich nicht unbemerkt bleiben.
Eine Sache allerdings gab es, die ihm trotz allem die ganzen Jahre über nie aus dem Kopf gegangen war: Wer war nun eigentlich der Mörder des alten Buxton? Er selbst jedenfalls war es nicht.
Allerdings war seine Einstellung gegenüber dieser Frage seit seiner Rückkehr nach London auch ein wenig zwiespältig geworden. Denn wollte er wirklich wissen, wer für den Mord und damit auch für sein, Martins, Schicksal verantwortlich war? Andererseits aber könnte er mit der Beantwortung genau dieser Frage seinen Namen ein für alle Mal wieder reinwaschen.
Martin tat einen tiefen Atemzug und zwang sich, den Blick von Amanda abzuwenden. Stattdessen schaute er auf den Garten hinaus und versuchte, innerlich wieder ein wenig Abstand zu gewinnen zu dieser ganzen Angelegenheit, wollte eine Art Barriere errichten zwischen sich und jener Frau, mit der er hier gerade stand - und vor allem Letzteres war ihm doch normalerweise ein Leichtes.
Aber bei Amanda gelang ihm dies grundsätzlich nicht. Außerdem war der Balkon so verdammt schmal. »Es macht keinen Sinn, diese Sache noch einmal aufzurollen. Es gibt nichts, was ich oder auch wir beide da noch unternehmen könnten.« Schließlich wurde sein Tonfall noch eine Spur härter: »Und ich hab dir das Ganze auch nicht erzählt, damit du dich nun als meine Fürsprecherin aufspielst. Ich habe dir nur deswegen davon erzählt, damit du verstehst, warum es für mich in der Londoner Gesellschaft einfach keine Zukunft mehr gibt.« Er hielt einen Moment inne, dann fügte er hinzu: »Die Vergangenheit ist tot und begraben.«
Schweigen breitete sich aus, bis Amanda entgegnete: »Nein, die Vergangenheit ist vielleicht begraben - aber ganz bestimmt nicht tot.«
Martin schaute nicht in ihre Richtung, wollte nicht ihr Gesicht sehen, den Ausdruck in ihren Augen.
Nach einer kurzen Pause fuhr Amanda mit zunehmend härter werdendem Ton fort: »Es fällt mir wirklich schwer nachzuvollziehen, wie du dich einfach so und ganz bewusst von deinem Leben abwenden kannst - wie du alledem den Rücken kehrst, was dein Leben ausmachen würde, wenn du nur endlich mal deinen Namen wieder reinwaschen würdest.«
Amanda sprach von »würde« und nicht von »könnte«, wie Martin keinesfalls entging; ihre Zielstrebigkeit schien ihn regelrecht zu entwaffnen.
Als er trotzdem noch immer nichts erwiderte, explodierte Amanda geradezu: »Warum denn bloß?« Deutlich hörte er die Frustration in ihren Worten. »Ich kenne dich nun immerhin schon gut genug, um zu wissen, dass es da irgendeinen Grund für dein Verhalten geben muss.«
Er hatte sogar eine ganze Reihe von Gründen, doch keiner von ihnen ging Amanda auch nur das Geringste an. Außerdem konnte er sich schon jetzt ausmalen, wie Amandas Meinung zu seinen Einwänden lauten würde, wie sie seine Sorge um sie, Amanda, Stück für Stück zerreden würde. Er musste sich regelrecht zwingen, um abermals in ihre glühenden Augen zu blicken. Und in dem Moment, da er die Emotionen erkannte, die hinter dem Kornblumenblau schimmerten, wusste er, dass ihm nur eine Chance blieb: Er musste ihr irgendwie einreden, dass sie sein Verhalten vollkommen falsch verstanden hätte, dass sie alles das, was sie in den vergangenen Wochen über ihn in Erfahrung gebracht hatte, ganz und gar fehlinterpretiert hätte.
Mit eiserner Entschlossenheit überging er sämtliche Gedanken an die möglichen Auswirkungen, an den Schmerz, den sie beide nun würden ertragen müssen, und erklärte, den Blick fest in ihre Augen gerichtet: »Ich sehe einfach keinen zwingenden Grund, warum ich mich auf ein solch aussichtsloses Verfahren einlassen und noch einmal irgendwelche alten Geschichten aufrühren sollte, die doch schon lange vergessen sind. Diese Rückkehr in die Gesellschaft, dieses Wiedererlangen des Wohlwollens der grandes dames - das alles hat für mich überhaupt keine Bedeutung mehr. «
Der Nachdruck, mit dem er Amanda seine letzten Worte entgegengeschleudert hatte, war schon wahrhaft grausam gewesen. Sie schreckte vor ihm
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