Küsse im Mondschein
bedauerte es bereits zutiefst, dass er damals bei Helen die Beherrschung verloren hatte. Denn ganz gleich, wie befriedigend sein kleiner Überfall auf Amanda auch gewesen sein mochte, so brauchte man sich doch bloß mal anzuschauen, wozu dieser Impuls letztendlich geführt hatte: Er hatte die letzte Woche fast ausschließlich damit verbracht, so ziemlich jeden verdammten Empfang, jeden Salon und jede Veranstaltung der Londoner Halbwelt abzuklappern - immer auf der Suche nach Amanda. Stets hatte er sich bemüht, ein wachsames Auge auf sie zu behalten. Langsam fiel er damit schon richtig auf. Und das Allerletzte, was Martin wollte, war, die Aufmerksamkeit der Leute auf sein Interesse an Amanda Cynster zu lenken.
»Das braucht dich doch überhaupt nicht zu kümmern. Ich habe ja schließlich bereits akzeptiert, dass das vermeintliche Einvernehmen zwischen uns beiden wohl bloß meiner Fantasie entsprungen war. Zwischen uns existiert keinerlei Beziehung - das hast du mir ja nun ganz deutlich zu verstehen gegeben. Ich kann also nicht so ganz nachvollziehen, warum ich dann nicht wenigstens die Aufmerksamkeiten anderer Herren genießen darf - aber du lässt ja keine Gelegenheit aus, so ziemlich jeden Gentleman, der sich in meine Nähe wagt, gleich wieder zu verschrecken. Du glaubst doch wohl nicht ernsthaft, dass ich das noch länger dulden werde.«
Grimmig schob Martin das Kinn vor und biss sich fest auf die Zunge, um den Hohn in Amandas Augen nicht sogleich mit einer scharfen Bemerkung zu quittieren. Denn sie hatte den Nagel zweifellos auf den Kopf getroffen, hatte seine Emotionen für sie genauestens analysiert.
Als Martin in Schweigen verharrte, hob Amanda flüchtig die Brauen und ließ abermals den Blick durch den Raum schweifen. »Und nun musst du mich bitte entschuldigen, es gibt noch andere, mit denen ich gerne noch ein paar Worte wechseln möchte.«
Amanda wollte davonschreiten, doch sein fester Griff um ihr Handgelenk hinderte sie daran. Sie schaute auf seine Finger hinab, die sich wie eine Fessel um sie schlossen. Und wartete. Martin musste sich wahrlich zwingen, die Finger wieder zu öffnen. Mit heiter-gelassenem Lächeln nickte Amanda ihm noch einmal kurz zu und machte Anstalten, sich einen neuen Gesprächspartner zu suchen.
»Wohin gehst du?« Martin konnte sich diese Frage beim besten Willen nicht verkneifen. Und natürlich wusste er, dass auch Amanda sogleich begreifen würde, was er in Wirklichkeit damit zum Ausdruck bringen wollte - er wollte wissen, bis wohin sie ihre Spielchen mit ihm noch zu treiben gedachte.
Sie musterte ihn. Schließlich erwiderte sie: »Einmal bis in die Hölle und wieder zurück.« Dann, bereits im Weggehen begriffen, fügte sie noch hinzu: »Sofern ich Lust dazu habe.«
Amandas Vorgehen glich einem Balanceakt, ganz so, als ob sie sich auf einem dünnen Seil über eine Grube voller ausgehungerter Wölfe tastete. Aber irgendwann würde sie einen Fehler begehen, würde sie einen falschen Schritt machen, das stand außer Frage. Und genau darauf zählten auch die Wölfe, was schließlich auch der Grund war, weshalb sie sich noch immer in Geduld übten und sich am Gängelband führen ließen, als ob sie lediglich harmlose junge Welpen wären - was sie mit absoluter Sicherheit eben nicht waren.
Martin biss die Zähne zusammen und begnügte sich damit, Amandas Treiben einfach nur schweigend zu beobachten - Nacht für Nacht, und sei dies nun auf einer Soiree, auf einer Party oder auf einer Abendgesellschaft. In den gehobenen Londoner Kreisen hatte die Ballsaison ihren Höhepunkt erreicht; und in der Halbwelt ereignete sich ein nicht weniger hektischer Ausbruch gesellschaftlicher Aktivitäten.
Es verging kein Abend, an dem Martin Amanda nicht irgendwo aufgespürt hätte. Denn obgleich sie natürlich in ihren Kreisen so mancherlei Verpflichtung nachzukommen hatte, machte sie danach doch auch stets noch einen kleinen Abstecher in seine, Martins, Welt - begleitet von einem zunehmend unglücklicher dreinschauenden Carmarthen. Und mit jedem weiteren Abend, der verstrich, schien sie noch ein bisschen wilder und gewagter aufzutreten, noch ein bisschen weniger berechenbar zu sein.
Sie lachte und ließ ihren ganzen Charme spielen, und fast hätte man glauben können, dass Amanda regelrecht an einer Sucht litte, so eifrig, wie sie eine Eroberung an die nächste reihte. Unterdessen pflegte Martin mit grimmigem Gesichtsausdruck an der Wand zu lehnen und sie einfach nur mit seinen Blicken zu
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