Küsse im Mondschein
behalten.«
Martin schaute Helen forschend an. »Welche junge Freundin?«
»Na, Miss Cynster, natürlich. Und, bitte, versuch mir jetzt nicht weiszumachen, dass ihr gar nicht befreundet wärt.« Helen tätschelte ihm aufmunternd den Arm. »Carmarthen jedenfalls hat sie heute Abend nicht hierher begleitet - sie ist ganz allein hier erschienen. Und statt mich jetzt so finster anzustarren, empfehle ich dir, diesen Blick lieber mal dort drüben bei besagter junger Dame anzuwenden. Damit würdest du uns allen wirklich einen großen Gefallen erweisen.« Mit einer knappen Bewegung ihres Kopfes deutete Lady Hennessy zur gegenüberliegenden Ecke des Raumes hinüber; dann ließ sie ihre scherzhafte Maske endgültig fallen und erklärte: »Ich meine es ernst. Schau dir das bitte mal an, wie die sich hier aufführt. Und was immer du danach mit ihr anstellst, überlasse ich ganz allein dir.«
Martin erwiderte Helens Blick, dann nickte er: »Ich werde es mir mal ansehen.«
Abermals hob Helen die Brauen, doch Martin überging diese fragende Geste einfach und strebte zu jener Ecke hinüber, auf die Helen zuvor gedeutet hatte. Im Übrigen irrte Helen sich, wenn sie glaubte, er fühle sich ihr nun zu Dank verpflichtet.
Trotzdem wollte er, bevor er wieder aufbrach, noch einmal rasch mit eigenen Augen sehen, weswegen Helen ihn nun eigentlich hierhergerufen hatte. Unauffällig schlich er an der Wand entlang, bis er die kleine Gruppe in der hinteren Ecke des Salons im Blickfeld hatte. Dann allerdings stieß er sofort einen nur mühsam unterdrückten Fluch aus und wünschte sich, er wäre gleich nach der kurzen Unterredung mit Lady Hennessy wieder verschwunden.
Andererseits aber war er natürlich nicht so töricht, in die Situation einzugreifen, ohne sich zuvor erst einmal einen genaueren Überblick über die Lage zu verschaffen. Und nun verstand er durchaus, weshalb Helen sich Sorgen um Amanda machte. Das Grüppchen, das sich da vor ihm präsentierte, war wahrhaft beispiellos; eine bunte und äußerst explosive Mischung.
Amanda hatte eine durchaus beträchtliche Anzahl der begehrtesten und gleichwohl vergnügungssüchtigsten jungen Männer um sich geschart, die London im Augenblick zu bieten hatte. Damit wiederum zog sie natürlich auch die Aufmerksamkeit jener vornehmen Damen auf sich, die ebenso wie die Herren auf der Suche nach ein wenig pikanter Zerstreuung Helens Räumlichkeiten zu durchstreifen pflegten. Das Problem war bloß, dass nur wenige der besagten Damen es mit Amandas Charme aufnehmen konnten - es konnte folglich also nicht mehr lange dauern, bis sie begannen, ihrer neuen Konkurrentin das Leben in Lady Helens Salon zu verdrießen. So zumindest wäre der normale Ablauf der Dinge gewesen, wenn die Damen Amanda als Konkurrenz wahrgenommen hätten. Doch irgendetwas war schiefgelaufen. Und Martin wusste genau, wer da am Rädchen gedreht hatte.
Denn statt zu fauchen und ihre Krallen gegen Amanda auszufahren, waren Amanda und die bereits etwas gereifteren Damen offenbar zu einer Art Übereinkunft gekommen. Und Martin konnte sich ziemlich genau denken, was diese Übereinkunft beinhalten mochte. Den Gentlemen hingegen - das konnte er an ihren hingerissenen Mienen deutlich ablesen - schien noch nicht aufgegangen zu sein, dass Amanda ganz und gar nicht die Absicht hegte, die Spielregeln des Abends konsequent und bis zum Ende durchzuziehen.
Andererseits...
Martin beobachtete, wie sie mit einem eleganten Roué flirtete... und kam prompt ins Grübeln, ob er tatsächlich eine so wichtige Rolle in ihrem Leben spielte, wie er ursprünglich geglaubt hatte. Zumal Amanda in dieser Arena zurzeit wirklich der Hauptgewinn war, ein Erlebnis, wie es ganz und gar nicht der Norm entsprach. Sie war nicht nur schön und von sinnlicher Attraktivität, nein, sie war auch noch unberührt und intelligent, geistreich, schlagfertig und selbstbewusst - sie war alles in allem herausfordernd weiblich. Und es gab nicht wenige Kenner in dem um sie versammelten Kreise, die all das durchaus zu schätzen wüssten.
Nur würde ihnen dieses Vergnügen heute Abend nicht mehr zuteil werden. Egal, was Amanda da auch geplant haben mochte.
Nachdem Martin aus schmalen Augen eine kurze Einschätzung der Situation vorgenommen hatte, verwarf er den Vorsatz, einen Frontalangriff zu starten. Stattdessen wandte er sich um und winkte einen Lakaien heran.
Mit einem Lachen schaute Amanda zu Lord Rawley auf und nahm unterdessen beiläufig die Nachricht von dem Tablett,
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