Küsse im Morgenlicht
betont gequälten Gesichtsausdruck, löste sich aus einer herzlichen Umarmung mit Amelia und wandte sich dann um, um Honoria zu begrüßen.
»Er hat ganz Recht, meine Liebe.« Honoria ließ den Blick über Portias jettschwarzes Haar schweifen, das nicht in kleine Löckchen gelegt war, sondern ganz natürlich und in leichten Wellen über ihren Rücken hinabfloss. »Wer Euch einmal gesehen hat, der vergisst Euch nicht mehr - darauf braucht Ihr Euch keine Hoffnungen zu machen. Jegliche Sünden werden Euch also auf ewig nachgetragen.«
Portia seufzte. »Tja, mit diesen Augen und dem Haar denke ich, ist das wohl unvermeidlich.« Das schwarze Haar und die blauen Augen, die bei Luc so männlich und dramatisch wirkten, hatten bei Portia eine ganz andere, überaus weibliche Note. Aber als der geborene Wildfang, der sie nun einmal war, hatte sie diese Vorzüge noch nie so recht zu schätzen gewusst.
»Ach, mach dir doch darüber keine Gedanken.« Mit einem Lächeln schob Amelia ihren einen Arm unter Portias hindurch und schlang den anderen um Penelopes Taille. »Wir sitzen gerade beim Mittagessen. Ihr seid doch mit Sicherheit völlig ausgehungert.«
Penelope schob ihre Brille ein Stückchen die Nase hinauf. »Oh, hungrig sind wir eigentlich immer.«
Den Rest des Nachmittags verbrachte Amelia damit, die Nachzügler auf Somersham Place willkommen zu heißen und der Verwandtschaft die Zimmer zu zeigen. Die Hochzeit erschien ihr im Großen und Ganzen als eine einzige, unablässige Abfolge von Pflichten, die sie zu erfüllen hatte. Es blieb ihr nur wenig Zeit, die bevorstehende Feierlichkeit auch einmal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten - und für die bei einer Braut sonst übliche Nervosität war erst recht kein Platz mehr. Sogar als sie etwas später am Nachmittag im Beisein von Amanda, Louise und ihren Tanten noch ein letztes Mal das Hochzeitskleid anprobierte, war sie noch die Ruhe selbst.
Anschließend zog sie sich mit Amanda in deren Zimmer zurück. Dort lagen sie auf dem Bett und unterhielten sich - so wie sie es schon immer getan hatten und auch weiterhin tun würden, ganz gleich, ob sie nun verheiratet waren oder nicht. Als Amanda, erschöpft von der Reise, schließlich einnickte, erhob Amelia sich leise und schlich hinaus.
Sie war schon oft zu Besuch in diesem Haus gewesen - von jüngster Kindheit an - und wusste folglich, wo sie durch eine kleine Nebentür in den Garten entschlüpfen konnte, ohne dabei gesehen zu werden. Unter dem Schutz der dicht belaubten Eichen schlenderte sie über den Rasen. Ihr Ziel war jener eine, einzige Ort auf diesem Anwesen, wo sie wohl niemand stören würde und sie einen Moment der Ruhe genießen könnte.
Die Sonne hatte ihren höchsten Stand schon lange wieder verlassen, doch ihr Licht drang noch immer hell und kräftig zwischen den Bäumen hindurch, als Amelia über die Lichtung vor der kleinen Kirche schritt. Das alte Gebäude war ganz aus Stein und stand schon seit Jahrhunderten an diesem Ort. In dieser Kirche waren schon Scharen von Cynsters mit ihren Partnern vermählt worden, und sämtliche dieser Verbindungen - so wollte es zumindest die Legende - hielten ein Leben lang. Doch das war nicht der Grund, weshalb Amelia sich dazu entschlossen hatte, unter diesen uralten Balken heiraten zu wollen. Sondern sie hatte sich vielmehr von dem Gedanken leiten lassen, dass sie hier bereits getauft worden war, und dass auch ihre Eltern hier den Bund der Ehe geschlossen hatten. Es schien also nur folgerichtig, in derselben Kirche die erste Phase ihres bisherigen Lebens zu beenden und gleichzeitig die zweite zu beginnen.
Im Vorraum des kleinen Gebäudes blieb sie stehen und überließ sich dem Frieden, der mit seinen zarten Fingern nach ihr zu tasten schien, erahnte die Kraft, die in dem Losgelöstsein von allem Zeitlichen lag, fühlte die Gnade und die tiefe Freude, die hier jeden einzelnen Stein zu durchdringen schienen. Dann streckte sie den Arm aus, drückte die schwere Türklinke hinunter, und lautlos öffnete sich die Tür. Amelia trat hinein - und stellte fest, dass sie nicht die Einzige war, die auf der Suche nach ein wenig Ruhe hierher gekommen war.
Vor dem Altar stand Luc, die Hände in den Taschen seiner Breeches vergraben, den Blick zu dem bunt verglasten Fenster über dem Chor erhoben. Die prächtigen Farben waren atemberaubend, und doch war es nicht ihre Schönheit, die seine Aufmerksamkeit fesselte.
Er selbst konnte nicht genau sagen, was ihn beschäftigte. Luc
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