Küsse im Morgenlicht
Bedürfnis, sich die Last dieser Geheimnisse noch vor dem morgigen Tag von der Seele zu reden...
Zuerst aber musste Amelia noch sagen: »Ich will.« Und diesen Schwur wiederum würde er erst morgen von ihr hören.
Luc verzog das Gesicht zu einer Grimasse und deutete in Richtung Tür. »Besser, wir gehen jetzt wieder zurück zum Haus, ehe irgendein neunmalkluger Kopf noch feststellt, dass wir beide verschwunden sind, und die Fantasie der Leute Purzelbäume schlägt.«
Amelia grinste, wandte sich dann aber ebenfalls um und ging gemeinsam mit Luc den Mittelgang hinab. Er griff rasch an ihr vorbei, wollte gerade die Tür öffnen - da blieb Amelia vor ihm stehen, eine Hand auf seinen Arm gelegt.
Ihre Blicke begegneten sich, versanken geradezu ineinander. Dann lächelte sie, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste zart seinen Mund, ganz leicht und flüchtig. Der Kampf, den Luc in diesem Moment in seinem Inneren auszufechten hatte, raubte ihm fast den Verstand.
Ehe er die Schlacht aber verlieren konnte, wich Amelia bereits wieder von ihm zurück und sah ihn abermals an.
»Danke, dass du meinen Antrag angenommen hast... und dass du dir die Sache mit dem Datum dann doch noch einmal überlegt hast.«
Amelia hielt seinen nachtschwarzen Blick fest. Schließlich lächelte sie und drehte sich um in Richtung Tür. Luc zögerte kurz, dann stieß er die schwere Flügeltür auf. Amelia trat hinaus ins Licht, wartete auf Luc und darauf, dass er die Tür wieder schloss. Dann gingen sie sittsam Seite an Seite zurück zum Haus.
12
Der nächste Morgen versprach, ein wundervoller Sommertag zu werden. Eine leichte Brise wehte über die Hügel und gab das modische Thema für den Tag vor: Man kleidete sich verspielt, und zart flirtete der Wind mit den Locken und Seidenbändern, zauste leicht an den Kleidern der Damen, zupfte an duftigen Volants und feinen Spitzen. Die Gäste lachten viel, die frisch duftende Luft nahm ihre Heiterkeit auf und verteilte sie großzügig über die gesamte, überaus prachtvoll gekleidete Hochzeitsgesellschaft - über all jene Verwandten und engen Freunde, die geladen worden waren, um der Trauung beizuwohnen.
Alles verlief wie vorgesehen, es gab keinerlei Zwischenfälle, alle verstanden sich prächtig. Nachdem die Gästeschar sich in der kleinen Kirche versammelt hatte - die Herren füllten die Seitengänge, während ihre Damen in den Kirchenbänken Platz genommen hatten -, trat Luc vor und schritt zum Altar hinauf. An seiner Seite befanden sich Martin, der nicht nur Amelias Schwager war sondern zugleich auch Lucs Cousin, sowie Simon, Amelias Bruder, ein neunzehnjähriger junger Bursche, den Luc dank des engen Verhältnisses ihrer beider Familien in der Vergangenheit ohnehin schon als eine Art Bruder betrachtet hatte.
Martin schaute zuerst verstohlen nach rechts, dann nach links und flüsterte Luc schließlich mit verschwörerischer Stimme zu: »Das Ganze hier wird ja langsam richtig inzestuös. Oder ist dir etwa noch nicht aufgefallen, dass wir ab heute nicht nur Cousins, sondern auch Schwager sind?«
Luc zuckte lediglich unbekümmert mit den Schultern. »Wir beide hatten eben schon immer einen exzellenten Geschmack.«
Simon schnaubte verächtlich. »Meiner Meinung nach habt ihr eher die unseren Familien eigene, bedauernswerte Neigung geerbt, euch immer mit genau den Frauen einzulassen, um die ein vernünftig denkender Mann normalerweise einen weiten Bogen machen sollte.«
Diese Worte aus dem Munde eines Cynsters! Luc setzte zu einer entsprechend scharfen Erwiderung an, holte gerade tief Luft - da fing er Martins Blick auf. Beide Cousins hatten den gleichen Gedanken und tauschten ein wissendes Lächeln aus, denn sie wussten, dass nicht nur sie beide, sondern alle männlichen Mitglieder ihrer Familien dazu neigten, sich von, sagen wir, höchst eigenwilligen Frauen angezogen zu fühlen. In dem stillschweigenden Einverständnis, dass Simon diese Wahrheit ruhig irgendwann von ganz allein herausfinden sollte, wandten sie sich wieder zum Altar um.
In diesem Augenblick kam Amelia an Arthurs Arm aus dem Haupteingang des Herrenhauses und trat ihren Weg in die Ehe an. Begleitet von Amanda und Emily, schien sie vor lauter Zuversicht geradezu von innen heraus zu leuchten, und in ihren Zügen spiegelte sich die Gewissheit, endlich jenes Ziel erreicht zu haben, von dem sie schon so lange träumte. Voller innerer Befriedigung dachte sie daran, dass sie ihrem größten Wunsch nun noch ein wenig näher gekommen
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