Küsse im Morgenlicht
versuchte die Vielzahl an Empfindungen in seinem Inneren voneinander zu trennen, konnte das wilde Durcheinander aber nicht in seine einzelnen Stränge auflösen. Alles schien sich miteinander zu vermischen, schien sich ineinander widerzuspiegeln und zu verschmelzen, bis er schließlich nur einen einzigen, geradezu bezwingenden Impuls spürte.
Er wollte nichts sehnlicher in seinem Leben, als Amelia zu seiner Frau zu machen.
Und schon morgen früh würde es so weit sein, hier, an diesem Ort. Das Einzige, was er nun noch tun musste, war, zu warten - und dann wäre sie die seine.
Die Macht seiner Gefühle für sie überwältigte ihn beinahe, und das ganz besonders an einer Stätte wie dieser hier, wo ihn nichts und niemand mehr von der Erkenntnis ablenkte, und ihm keiner die Sicht auf die fast schon erschreckend klare Wahrheit noch verstellte.
Dies war ein sehr wichtiger Schritt für ihn. Zumal die Kirche über die Jahrhunderte hinweg schon zahlreichen Eheschließungen als stille Zeugin beigewohnt hatte. Das Wesen jener heiligen Versprechen schien auch das Gebäude selbst zu durchdringen, schien die Vergangenheit mit der Gegenwart zu verbinden und mit seiner sanften Macht bis in die Zukunft hineinzureichen. Es war letztendlich also nur ganz natürlich, dass Luc sich der wichtigsten und grundlegendsten aller Wahrheiten, die es im Leben wohl geben konnte, speziell an diesem Ort noch einmal bewusst werden wollte.
Im Übrigen hatte er schon immer das Gefühl gehabt, dass Somersham Place seine ganz eigene Magie besaß. Er war im Laufe seines Lebens immer wieder einmal hier zu Gast gewesen und hatte stets die vage Ahnung gehabt, dass hier etwas Besonderes existierte, etwas, das es nur hier gab. Aber erst jetzt konnte er diese beeindruckende Stimmung wirklich mit allen seinen Sinnen erfassen. Denn erst jetzt war all sein Denken - und, wenn er ehrlich war, auch das Sehnen seines Herzens und seiner Seele - allein auf die Erfüllung dieses einen, bezwingenden Verlangens ausgerichtet: Wie schon Generationen von Männern vor ihm, so ging nun auch Luc den Pfad des Kriegers, des Beschützers und liebenden Ehemannes.
Nur wann genau dieses Streben von ihm Besitz ergriffen hatte, das vermochte Luc nicht zu sagen. Vielleicht war dieser gereifte Mann, der er nun war, schon immer Teil seines Wesens gewesen. Vielleicht hatte er nur auf den richtigen Augenblick und die richtige Frau gewartet, um endlich hervorzutreten - um ein neues Gefühl der Liebe und der Hingabe in sich zu entdecken.
Und es fortan zu seinem Leitstern zu machen.
Luc atmete einmal tief durch und blickte auf den Altar. All diese Empfindungen und Erkenntnisse, die er in seinem Inneren eben noch einmal hatte Revue passieren lassen, würde er morgen, wenn er Amelia heiratete, formell anerkennen. Und wenn er sein Eheversprechen ablegte, dann würde er nicht nur Amelia etwas geloben und auch nicht bloß sich selbst, sondern er würde damit auch etwas noch Größerem und nicht mehr zu Erfassendem sein heiliges Versprechen geben.
Ein plötzlicher Luftzug riss ihn abrupt aus seinen Gedanken. Luc schaute sich um und sah, wie Amelia behutsam die Tür schloss. Mit einem sanften Lächeln auf den Lippen kam sie langsam auf ihn zu; Luc drehte sich zu ihr um.
Unmittelbar vor ihm, doch noch mit einem gewissen, kleinen Abstand zwischen ihnen beiden blieb sie stehen. Forschend schaute sie ihm in die Augen. Ihre Gesichtszüge blieben vollkommen entspannt. Sie war neugierig, forderte jedoch nichts.
»Du hast nachgedacht?«
Luc nahm den Anblick ihres Gesichts tief in sich auf. Dann erwiderte er ihren Blick und nickte. Er hob den Kopf, konnte sich nur mühsam von ihr lösen, und sah sich um. »Eine wunderschöne alte Kirche.« Dann schaute er wieder zu Amelia hinab. »Mit diesem Ort hier hast du genau die richtige Wahl getroffen.«
Ihr Lächeln wurde noch ein wenig wärmer, und auch sie sah sich um. »Ich bin sehr froh, dass du das genauso siehst wie ich.«
Luc wagte es nicht, sie zu berühren, wollte es nicht riskieren. Und doch spürte er, wie das Verlangen durch seine Adern pulsierte, wie die Begierde ihm eine zarte Gänsehaut aufhauchte. »Ich hätte nicht geglaubt, dass wir uns vor morgen noch einmal begegnen würden. Zumindest nicht allein.«
»Nun, das hätten wohl auch all die anderen nicht geglaubt.«
Er sah ihr in die Augen, wusste, was sie dachte. Für einen kurzen Moment war er drauf und dran, ihr die Wahrheit zu erzählen - die ganze Wahrheit. Getrieben von dem
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