Küsse im Morgenlicht
müssen?«
Wieder bedachte Mrs. Higgs Amelia mit einem breiten Lächeln. »Nein, Ma’am. Zumindest nichts, was jetzt im Augenblick anstände. Tatsächlich hatten wir sogar erst gestern Abend in der Halle noch bemerkt, dass nun, da der junge Herr verheiratet ist und sich als Ehefrau auch noch ausgerechnet Euch, Miss - oder ich sollte wohl besser sagen: Ma’am - ausgesucht hat - schließlich kennen wir alle Euch ja schon lange und haben miterlebt, wie Ihr von einem ganz kleinen Mädchen zur jungen Frau herangewachsen seid, und...« Mrs. Higgs hielt einen Moment inne, um Luft zu holen. »Nun ja, jedenfalls... was ich sagen wollte, ist, dass nun, da sich alles so wunderbar gefügt hat, keiner von uns noch irgendwelche nennenswerten Wünsche offen hat. Und das ist mein voller Ernst.«
Amelia erwiderte das Lächeln der Haushälterin. »Ich weiß, dass die vergangenen Jahre für Euch recht schwierig gewesen sein müssen.«
»Ja, das waren sie. Und manchmal sogar mehr als schwierig, was die Sache mit Master Edward und all dem anderen Kram angeht... aber...« Mrs. Higgs wölbte die Brust, und sofort hellte sich ihr Gesicht, das sich bei dem Gedanken an die Vergangenheit unwillkürlich verdüstert hatte, wieder auf »... aber das liegt ja nun alles weit hinter uns.« Damit nickte sie in Richtung der Fenster, hinter denen ein strahlender Sommertag grüßte. »Genauso wie beim Wetter, so hat sich auch in der Familie nun alles wieder zum Guten gewendet, und vor uns liegen endlich nur noch Zeiten des Glücks und vielleicht sogar ein paar nette Überraschungen.«
Amelia tat so, als ob sie die Erwähnung der »netten Überraschungen« nicht gehört hätte, die zweifellos eine Anspielung war auf den zukünftigen Nachwuchs im Hause, genauer gesagt auf ihren Nachwuchs - ihre und Lucs Kinder. Dankbar neigte Amelia den Kopf. »Ich hoffe, dass meine Amtszeit als Hausherrin hier eine glückliche Zeit wird.«
»Aber ja, natürlich.« Damit stemmte Mrs. Higgs sich aus dem Lehnsessel hoch. »Ihr habt doch schon ganz prima begonnen. Nun kommt es nur noch darauf an, genauso weiterzumachen.« Sie klopfte auf ihre Schürzentasche. »Ich bring der Köchin wohl am besten erst mal den Speisenplan. Danach steh ich Euch selbstverständlich sofort wieder zur Verfügung, Ma’am.«
»Ich habe eine bessere Idee.« Auch Amelia erhob sich. »Ich komme einfach mit Euch. Dann könnt Ihr mir bei der Gelegenheit gleich den Küchentrakt zeigen. Und danach könnt Ihr mich noch einmal durch das Haus führen. Die Raumaufteilung im Großen und Ganzen kenne ich zwar schon, aber ich bin mir sicher, es gibt noch so einige Orte, die ich noch nie gesehen habe.«
Orte, die ein Gast niemals betreten würde, die die Herrin des Hauses aber sehr wohl kennen sollte.
Wie zum Beispiel die Dachböden.
Die Böden über dem Westflügel und die Hälfte der östlichen Dachkammern waren zu Schlafkammern für die Dienerschaft ausgebaut worden. Die meisten der Unterkünfte waren zwar nur schmale Zimmerchen, gerade ausreichend, um die nötigsten Möbelstücke darin unterbringen zu können. Aber immerhin besaß jedes Zimmer ein kleines Fenster, wie Amelia auf ihrem Weg durch den schmalen Mittelgang befriedigt feststellte. Zudem waren sämtliche der Kammern, in die sie vorsichtig hineinspähte, nicht nur sauber und ordentlich aufgeräumt, sondern es fanden sich auch überall kleine wohnliche Accessoires - ein Spiegel, ein kleines gerahmtes Bild an der Wand oder ein altes Marmeladenglas, das als Blumenvase umfunktioniert worden war.
Die zweite Hälfte des östlichen Dachbodens diente als Lagerraum und Speicher. Nachdem Amelia auch hier einmal kurz hineingeschaut hatte, stimmte sie Mrs. Higgs zu, dass sie im Grunde erst einmal genug gesehen hatte. Luc hatte gesagt, dass er zum Mittagessen wieder zu Hause wäre, und Amelia wollte ihm schließlich nicht gleich an ihrem ersten Tag als Ehefrau und Ehemann mit Spinnenweben im Haar gegenübersitzen.
Nachdem sie wieder ins Hauptgebäude zurückgekehrt waren, hielt die Haushälterin auf dem obersten Absatz der Haupttreppe noch einmal kurz inne und deutete auf die Zimmer, die das Obergeschoss einnahmen. »Gleich hier vorn ist das Kinderzimmer, und das Schulzimmer liegt dort hinten rechts. Außerdem befinden sich auf diesem Flur die Räume des Kindermädchens und der Hauslehrerin, Miss Pink.«
Amelia erinnerte sich an die schüchterne, winzige Frau. »Wie kommt sie denn mit der Erziehung von Portia und Penelope zurecht?« Lucs jüngste
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