Küsse im Morgenlicht
Ausflug hoch zu Pferde auch entschieden ungefährlicher wäre als etwa ein Spaziergang durch den Garten oder wohin es Amelia sonst noch ziehen mochte... Im Stillen schüttelte Luc nämlich noch immer den Kopf über ihr gestriges Intermezzo und versuchte, wenngleich auch weitgehend erfolglos, sein zerrüttetes Weltbild wieder ins rechte Lot zu bringen.
Denn was ihren Besuch in dem kleinen Amortempel anging, so war dieser ausnahmsweise einmal nicht seine Idee gewesen. Und ein Ausflug in den Tempel des Amor war es in der Tat gewesen! Mal ganz zu schweigen von dem Risiko, dort von einem von Lucs Hilfsgärtnern oder - noch schlimmer - einem seiner Nachbarn erwischt zu werden. In flagrante delicto , sozusagen. Schließlich war Mittsommer, und viele von Lucs Nachbarn unternahmen Spaziergänge durch die weitläufigen Gartenanlagen - er hatte ihnen dies erlaubt -, um sich in der Natur zu entspannen. Und wahrlich, was sie dort in diesem Tempel vorgefunden hätten, hätte ihnen ohne Zweifel die Augen geöffnet für die Wunder der Natur... wenngleich bei einigen Betrachtern wohl eher ein Herzinfarkt die Folge gewesen wäre.
Luc hatte in diesem Augenblick, als er unten in der Halle auf Amelia wartete, also noch immer das Gefühl, als ob er plötzlich nicht mehr wüsste, wo oben und wo unten war. Zumal der kleine Ausflug auf die Anhöhe am Tag zuvor dann auch noch dazu geführt hatte, dass sie erst verdächtig spät wieder ins Haus zurückgekehrt waren. Und selbst das Abendessen hatte sich für Luc als eine unerwartet anstrengende Herausforderung entpuppt. Besonders was seine Selbstbeherrschung nach der Mahlzeit anging - er hatte Amelia schließlich nicht wieder unmittelbar vom Esstisch zu ihrem Schlafzimmer hinaufschleifen wollen, so wie er es am allerersten Abend getan hatte. Sie hatten sich also zunächst in den Salon zurückgezogen... um sich dort nach kaum mehr als zehn Minuten abermals einander hinzugeben. Und dann waren da natürlich noch die Erlebnisse der Nacht und des darauf folgenden Morgens gewesen.
Man konnte es Luc also nicht verdenken, dass er, zumindest für den Augenblick und sinnbildlich gesprochen, ein wenig die Orientierung verloren hatte.
Dass dies nun aber auch ausgerechnet ihm passierte! Schließlich war er doch einer der stadtbekannten Schwerenöter - gewesen. Nun jedoch schien es so, als ob plötzlich Amelia diejenige war, die in ihrer Liebesbeziehung für den nötigen Pfeffer sorgte.
Nicht, dass Luc sich über ihre Initiative beklagte, ganz bestimmt nicht. Er beschwerte sich weder über den Ausflug in den Liebestempel, noch über den Ausklang dieses Intermezzos. Im Gegenteil. Und die bloße Erinnerung daran reichte schon aus, um ihn abermals zu erregen. Aber dennoch war das alles... so ganz anders als das, was er erwartet hatte.
Luc war davon ausgegangen - nein, er hatte sogar fest daran geglaubt -, dass er ein zwar recht störrisches und eigenwilliges, doch zugleich auch zerbrechliches, zartes Geschöpf heiratete. Nun allerdings stellte sich plötzlich heraus, dass seine Ehefrau in Wahrheit eine echte Wildkatze war. Eine Wildkatze mit allem, was dazugehörte, inklusive der Klauen. Gerade die hatte er schon nachdrücklich zu spüren bekommen.
Dann ertönte endlich das leise Klackern ihrer Absätze auf den Stufen. Er wandte sich um, blickte hinauf und beobachtete argwöhnisch, wie seine Ehefrau regelrecht die Treppe herabschwebte. Amelia trug ein apfelgrünes Reitkostüm. Die Farbe verlieh ihren Locken einen noch tieferen, noch kostbareren Schimmer. Dann hob sie den Blick, sah Luc, und sogleich strahlte sie ihn voller Vorfreude an. Doch vielleicht rührte dieses Strahlen auch von etwas anderem her. Das zumindest war Lucs Vermutung. Denn das erwartungsvolle Funkeln in ihren Augen musste sich nicht zwangsläufig nur auf den bevorstehenden gemeinsamen Reitausflug beziehen...
Gelassen schritt sie die letzten Stufen hinab und trat auf ihn zu. Erst unmittelbar vor ihm blieb sie stehen. Dann senkte sie den Blick und hantierte mit den winzigen Knöpfen an ihren Handschuhen herum. Glitzernd fielen die Strahlen der Morgensonne durch das fächerförmige Oberlicht hinter Luc und legten sich über Amelias goldene Locken.
Für einen flüchtigen Augenblick konnte Luc weder denken noch atmen. Es war das gleiche Gefühl, wie es ihn auch gestern schon einmal überwältigt hatte, als Amelia den jungen Welpen in den Armen gehalten hatte. Es war eine drängende, unbezwingbare und tief aus seinem Inneren stammende
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