Küsse im Morgenlicht
eben erst nachgesehen. Mit gerunzelter Stirn wandte er sich zur Eingangshalle um.
Da kam das zweite der beiden Hausmädchen auf ihn zugeeilt, knickste hastig und erklärte: »Aber ich habe Ihre Ladyschaft gesehen, Mylord. Sie ging die Haupttreppe hoch. Das war, als wir uns gerade auf den Weg gemacht hatten, um die hier zu holen.« Damit hob sie die gefalteten Leinenlaken hoch, die sie in ihren Armen trug.
»Das dürfte dann wohl ungefähr fünfzehn Minuten her sein, Mylord«, fügte Mrs. Higgs hinzu.
»Vielen Dank, Molly.« Luc ging auf die Treppe zu.
Als er die ersten Stufen erklommen hatte, wurden seine Schritte jedoch wieder langsamer. Er fragte sich, warum Amelia sich zu dieser Tageszeit in ihre privaten Räumlichkeiten zurückgezogen haben mochte und überlegte, was sie wohl gerade tun würde, wenn er sie dort vorfand.
Vor allem aber grübelte er darüber nach, was er wohl am besten sagen sollte, wenn er ihr begegnete. Welchen Vorwand er vorbringen sollte für sein Erscheinen.
Auf dem oberen Treppenabsatz angekommen, schüttelte Luc seine Bedenken rasch wieder ab. Er war immerhin mit diesem verflixten Weibsbild verheiratet. Da hatte er doch wohl auch das Recht, sie sehen zu dürfen, wann immer ihm danach war.
Er marschierte geradewegs auf ihr gemeinsames Schlafzimmer zu und öffnete die Tür. Doch schon verriet ihm ein rascher Blick, dass das Zimmer leer war. Luc fühlte ein enttäuschtes Ziehen in der Magengegend. Dann schweifte sein Blick weiter zu der Verbindungstür, durch die man in Amelias Privatgemächer gelangte. Er trat schließlich ganz ins Schlafzimmer ein und schloss die Tür hinter sich. Vielleicht hatte sie ja seine Schritte im Korridor bereits gehört. Wenn er nun also auch noch genau aus dieser Richtung in ihren Salon eintrat, dann war nicht mehr zu verhehlen, dass er nach ihr gesucht hatte.
Als Luc es schließlich aber doch wagte, einen flüchtigen Blick in Amelias Wohnzimmer zu werfen, da stellte sich heraus, dass sie auch dort nicht war. Mit einem grüblerischen Ausdruck auf dem Gesicht kehrte er in ihr Schlafzimmer zurück, schaute dann zur Sicherheit auch noch einmal in seinem eigenen Privatsalon nach - ein Ort, den er nur sehr selten aufsuchte -, doch auch dort fand sich keine Spur von Amelia.
Unschlüssig stand er in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer und sah auf das Bett. Ihr Ehebett. Jenes Bett, in dem sich seit jenem schicksalhaften Nachmittag nichts mehr zwischen sie drängen konnte, wo sie einander sowohl physisch also auch emotional so nahe waren, wie Mann und Frau sich nur irgend sein konnten. In diesem Bett gab es keine Scharade und kein Rollenspiel mehr, hier existierte nur noch die reine Wahrheit. Das Einzige, was Luc noch nicht mit Sicherheit sagen konnte, was er einfach noch nicht wusste, war, ob diese reine Wahrheit nicht nur in seinem Fall, sondern auch, was Amelias Gefühle für ihn anbetraf, die reine Liebe bedeutete.
Was ihn selbst anbelangte, so hatte er überhaupt keine Zweifel mehr an der Tiefe seiner Empfindungen für Amelia. Aber leider wurde auch seine Unsicherheit dadurch nur noch größer, und er sehnte sich umso dringlicher nach einer endgültigen Antwort auf seine Frage.
Sollte auch Amelia echte Liebe für ihn empfinden, so hatten sie ihre gemeinsame Zukunft auf absolut unerschütterlichem Fundament erbaut.
Falls es aber doch keine echte Liebe war … dann befand er, Luc, sich nun in einer überaus unsicheren Position, dann war er verletzlicher denn je.
Aber es gab keinerlei Anhaltspunkte, die ihm verrieten, ob Amelia bloß Leidenschaft für ihn empfand oder ob ihre Gefühle tiefer gingen. Ganz gleich, wie aufmerksam er sie auch beobachten mochte, so hatte er doch bislang nicht den kleinsten Beweis dafür entdecken können, dass sie ihn tatsächlich liebte, dass sie mehr als das rein physische Verlangen fühlte, wenn sie ihn in sich aufnahm.
Luc starrte auf ihr gemeinsames Bett. Dann wandte er sich wieder ab. Für andere Männer mochte dies, die rein körperliche Hingabe, bereits Beweis genug dafür sein, dass ihre Frau sie mit Sicherheit auch liebte. Nicht aber für ihn. Denn den Glauben, dass das physische Miteinander gleichzusetzen war mit der wahren Liebe, den hatte er schon vor langem verloren.
Unmittelbar vor der Tür blieb er noch einen Moment stehen, schaute sich nochmals zu dem Bett um. Mittlerweile war es zu einem Ort geworden, der Luc sowohl ängstigte als auch emotional erregte. Immerhin blieb ihm ja noch ein wenig Zeit, um die Wahrheit
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