Küsse im Morgenlicht
beizubehalten. Luc hatte wahrlich ihr vollstes Mitgefühl.
Er schien vollkommen den Boden unter den Füßen verloren zu haben.
Sie hätte nie gedacht, ihn noch einmal so erleben zu dürfen, hätte noch nicht einmal im Traum geglaubt, dass eine solche Situation überhaupt möglich wäre. Und doch war sie nun Zeugin, wie Luc sich redlich bemühte, jeder seiner vier höchst unterschiedlichen Schwestern gerecht zu werden. Schließlich standen sie alle unter seinem Schutz. Er war ihr Aufpasser.
Im Übrigen war dieses Abendessen von Anfang an recht unruhig verlaufen.
Amelia reichte Emily, die rechts von ihr saß, eine Schüssel mit Bohnen. Und wieder einmal fiel ihr auf, wie abwesend Lucs älteste Schwester dreinschaute. Emily war mit ihren Gedanken eindeutig ganz woanders. Wahrscheinlich hing sie im Stillen einigen Erinnerungen nach. Erinnerungen, die wahrscheinlich wesentlich reizvoller waren als das Abendessen im Kreise der Familie.
Amelia konnte sich gut vorstellen, in welche Richtung die Gedanken ihrer Schwägerin gehen mochten. Denn sie hatte die junge Frau an diesem Abend bereits einmal ganz nonchalant beiseitegenommen, als die Familie sich vor dem Abendessen im Salon versammelt hatte. Und die Frage nach Lord Kirkpatrick und Emilys Gefühlen für ihn hatte dann ein solch verräterisches Leuchten in deren Augen gezaubert, dass leicht nachzuvollziehen war, warum Minerva praktisch täglich damit rechnete, dass der Verehrer ihrer Tochter bei Luc um deren Hand anhielt. Zumal Emily Amelia sogar noch einmal bestätigt hatte, wie ernst das Verhältnis zwischen ihr und Seiner Lordschaft geworden war.
Liebevoll hatte Amelia ihr die Hand gedrückt und sie voll weiblichen Verständnisses angelächelt. Dann hatte sie sich umgedreht und festgestellt, dass Lucs Blick auf ihnen ruhte. Nur kurze Zeit später hatte er sich bei seiner Mutter und Miss Pink entschuldigt und war zu seiner Frau hinübergeschlendert. Diese hatte sich im Stillen schon dagegen gewappnet, ihn sanft, doch unmissverständlich zurechtzuweisen, sollte er Emily nun einem seiner typischen, eingehenden Verhöre unterziehen wollen. Doch Emily hatte trotz ihrer leicht geröteten Wangen nur selbstbewusst das Kinn emporgereckt und sich geweigert, auch nur ansatzweise die verschüchterte jüngere Schwester zu spielen.
Stattdessen hatte sie sogar regelrecht wagemutig und aus freien Stücken erklärt, wie männlich sie Lord Kirkpatrick doch fände, und dass das im Grunde schon das Wesentliche sei, was sie sich von einem Ehemann erhoffte.
Amelia hatte gesehen, wie Luc die Zähne zusammenbiss. Mit kluger Zurückhaltung hatte er sich die Aufforderung verkniffen, dass Emily ihm an dieser Stelle doch am besten noch mal etwas genauer erläutern sollte, was sie und Lord Kirkpatrick eigentlich miteinander verband. Denn die Antwort wäre, zumindest nach Amelias Einschätzung, sicherlich nicht nach seinem Geschmack ausgefallen.
Emilys knappe Andeutung und die Art und Weise, wie sie Luc daraufhin anblickte, hatten Amelia automatisch an die Zeit zurückdenken lassen, als auch sie und Luc noch nicht verheiratet, sondern erst ein heimliches Liebespaar gewesen waren. Denn auch Lord Kirkpatrick war ein Mann von gesellschaftlichem Rang, mit solidem finanziellen Hintergrund und einem umwerfend attraktiven Äußeren - ein Mann ganz ähnlich, wie auch Luc einer war. Und man durfte es wohl als Zeichen für Emilys Selbstbewusstsein und Reife betrachten, dass sie selbst nach ihrer lebenslangen Erfahrung mit Luc keineswegs vor solchen Männern zurückschreckte, sondern sogar gedachte, einen ebensolchen zu heiraten.
Aus Amelias Sicht aber war natürlich nach wie vor nicht etwa Emilys Verlobter, sondern ihr eigener Ehemann der Inbegriff männlicher Attraktivität. Er besaß sowohl Geschmeidigkeit und Anmut als auch Eleganz, sowie nicht zuletzt dieses gewisse, aristokratische Auftreten, das ihn so anziehend machte. Und doch konnten seine geschliffenen Umgangsformen nicht sein hartes, schroffes und fast schon bedrohliches Wesen verbergen, seinen eisernen, unbeugsamen und arroganten Willen. Von Anfang an war Luc der einzige Mann gewesen, bei dessen Anblick Amelia jedes Mal ein leichter Schauer über den Rücken lief.
Und daran hatte sich seither auch nichts geändert.
Natürlich hatte er in diesem Augenblick mal wieder genau erspürt, was in Amelias Innerem vor sich ging. Sofort hatte er sich zu ihr umgewandt und sie mit scharfem Blick angesehen.
»Das Abendessen ist serviert, Mylord,
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