Küsse im Morgenlicht
reichen.
»Kein Grund zur Hektik«, versuchte Louise sie zu beruhigen. »Wir haben noch Stunden, ehe wir uns wieder auf den Rückweg machen müssen.«
Minerva bekräftigte Louises Worte mit einem freundlichen Nicken.
Doch schon marschierten die meisten in einem dicht gedrängten Grüppchen durch den Garten; nur Heather und Eliza blieben zurück und überfielen Reggie geradezu mit ihren Bitten: »Ach, komm doch bitte mit. Wir wollen unbedingt die Geschichte über Lady Moffats Perücke hören.«
»Ist sie ihr in Ascot wirklich vom Kopf geflogen?«
Und letztendlich konnten sie Reggie, der immer zu einem kleinen Tratsch aufgelegt war, doch noch entführen.
Luc hob eine Braue und blickte Amelia an: »Wollen wir?«
Auch sie hob lediglich lässig eine Braue; in ihren Augen aber glitzerte bereits die Vorfreude. »Ich denke, das müssen wir sogar, nicht wahr?«
Luc stand auf und zog galant Amelias Stuhl zurück. Keiner von ihnen hatte vor, auch nur einen Schritt weiter zu gehen als bis zum Flussufer hinab. Doch gehorsam spielten sie ihre Rolle der widerwillig ihren Pflichten nachkommenden jungen Leute, die über ihre noch etwas jüngeren Freunde und Verwandten wachten - wenngleich diese im Augenblick ausnahmsweise einmal gar keine Beobachtung nötig hatten. Seite an Seite schlenderten Luc und Amelia also langsam den eifrigen Ausflüglern hinterher.
Als sie die weitläufigen Rasenflächen hinter sich gelassen hatten und die Gartenanlagen den Blick auf das Herrenhaus versperrten, blieb Luc mitten auf einem der sanften Hügel, über die ihr Weg sie führte, stehen. Vor ihnen bummelten die anderen in kleinen Dreierund Vierergrüppchen kontinuierlich weiter und entschwanden allmählich in Richtung der goldenen Felder und des sich in der Ferne wie ein glitzernd grünes Band windenden Flusses.
Leise drang noch Simons Stimme zu Amelia und Luc herüber; Amelias jüngerer Bruder diskutierte gerade mit Angelica darüber, wie wahrscheinlich es wohl wäre, noch einmal dieser angriffslustigen Entenfamilie zu begegnen, der sie schon bei ihrem vorigen Besuch bei Georgina über den Weg gelaufen waren.
Luc blickte Amelia an, die neben ihm stehen geblieben war. »Du möchtest sicherlich auch den Fluss bewundern? Inklusive der Enten, versteht sich?«
Amelia lächelte. »Ach, das kenne ich doch alles schon.«
»Nun, wenn das so ist, dann wüsste ich jetzt gerne, wo der Obstgarten liegt. Vielleicht finden wir ja diesen Baum wieder, von dem ich bei meinem letzten Besuch runtergestürzt bin?«
Amelia deutete auf einen Pfad, der sich links von jenem Weg erstreckte, auf dem sie gerade wanderten. »Leider dürften die Pflaumen zu dieser Jahreszeit noch nicht reif sein.«
Luc folgte Amelia, die vom Hauptweg auf den kleinen Seitenpfad abbog. »Die Pflaumen wollte ich ohnehin nicht probieren … ich hatte da eher an etwas anderes gedacht.«
Amelia warf ihm einen hochmütigen, herausfordernden Blick zu und marschierte unaufhaltsam weiter.
Luc lächelte und folgte ihr.
Der kleine Obstgarten war ein Paradies für jeden Casanova: Eine steinerne Mauer umschloss einige riesige, alte und dicht belaubte Bäume. Zudem lag die kleine Plantage so weit vom Haus entfernt, dass man Luc und Amelia von dort aus mit Sicherheit nicht beobachten konnte. Und nicht zuletzt befand sich das Gärtchen auf dem höchsten Punkt des Hügels und so weit von dem Pfad unten am Fluss entfernt, dass es schon ein sehr großer Zufall wäre, wenn irgendeiner von den anderen Gästen sich hier heraufwagen würde.
Dann, als Luc und Amelia schließlich unter die Bäume traten, waren sie endgültig vollkommen unsichtbar für jeden, der sich außerhalb des Obstgärtchens befand. Der Pflaumenbaum stand noch in voller Blüte. Luc langte hinauf in die tiefhängenden Äste und pflückte eine der Blüten, die er Amelia reichte. Amelia betrachtete das kleine Kunstwerk aufmerksam von allen Seiten und sog schließlich den Duft der Blüte ein.
»Hmmm - sie duftet nur ganz dezent, aber wunderbar.«
Luc streckte die Hand aus und fuhr Amelia ganz zart mit einem Finger über die Wange. Amelia blinzelte, hielt einen Moment inne... und drehte schließlich den Kopf ein wenig zur Seite, nahm seinen Finger zwischen die Lippen und saugte zart daran.
Es verschlug Luc regelrecht den Atem, sein ganzer Körper spannte sich an, und für einen kurzen Moment glaubte er sogar, das Augenlicht zu verlieren. Dann blinzelte er, tat mühsam einen tiefen Atemzug und schaffte es schließlich, langsam die
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