Kuessen al dente - Roman
nehmen. Gleichzeitig aber hatte es auch etwas von einer alternden Diva, die aufs Abstellgleis geschoben wird. Trotzdem brauchte Georgia Schlaf. Sie stellte ihr Handy und das Festnetz ab und rief unten bei Danny, dem Portier, an, um ihm zu sagen, dass sie offiziell nicht zu Hause sei. Für niemanden zu sprechen.
Dank der Jalousien, die Glenn eigens bestellt hatte, war es im Schlafzimmer dunkel wie in einer Höhle, und die schalldämpfenden Fensterscheiben sperrten alle Straßengeräusche aus. Georgia schluckte die letzte Schlaftablette, kroch ins
Bett, zog sich die Decke bis zur Nasenspitze hoch und schloss die Augen.
Etwas Leckeres zu essen, war ihr erster Gedanke. Sie brauchte etwas wirklich Leckeres. Aber was aß man, wenn man gerade von seinem Verlobten den Laufpass bekommen hatte, kurz nachdem man gefeuert wurde, weil man kurz davor in der größten Tageszeitung der Stadt öffentlich gedemütigt worden war? Selbst für eine erfahrene Küchenchefin war das eine Herausforderung. Immer noch leicht benebelt von ihrem nachmittäglichen Nickerchen, wenngleich es schon nach zehn Uhr abends war, durchstöberte Georgia den Kühlschrank und die Tiefkühltruhe, kramte in ihren Schränken und suchte ein paar Zutaten für ein schnelles Mahl zusammen, das ihren Kopf, ihre Seele und, am allerwichtigsten, ihren Magen zufriedenstellte. Sie entschied sich für eine Suppe, eine einfache Kichererbsensuppe, deren Zubereitung sie in Florenz gelernt hatte; dazu Brot, weil sie jetzt Kohlehydrate brauchte und von dem letzten Sauerteigbrot nach Grammys Rezept, das sie gebacken hatte, einen halben Laib eingefroren hatte; und Käse, weil sie noch keine Situation erlebt hatte – positiv oder negativ –, die Käse nicht verbessert hatte; und natürlich Wein – dazu war keine Erklärung notwendig.
Eine Schale Suppe, zwei Scheiben Toast mit Quittengelee und Ziegenkäse und drei Gläser Sancerre später schlüpfte Georgia in eine alte, ausgeleierte Jeans und eine leichte Jacke und verließ mit Sally die Wohnung.
»Bis später, Danny«, rief sie dem Portier auf ihrem Weg nach draußen zu. Der Spiegel in der Lobby registrierte einen Kräuselfaktor ihrer Haarpracht von achteinhalb, aber das war ihr herzlich egal.
Danny nickte. »Ihre Freundinnen waren da. Ich habe ihnen gesagt, Sie seien nicht zu Hause.«
»Danke, Danny.« Clem und Lo sowie ihre Eltern, und wer sonst noch die Kritik gelesen hatte, mussten warten.
Georgia und Sally spazierten zur Park Avenue, ihre Lieblingsrunde zu später Stunde. Die breiten Mittelstreifen der Avenue waren mit Tulpen bepflanzt, die gerade erst aus der Erde sprossen. Nach Mitternacht herrschte hier nur noch wenig Verkehr, und abgesehen von einigen Hedgefond-Junkies, die auf ihren iPhones herumtippten, und weiß behandschuhten Nachtportieren, die frische Luft schnappten, begegnete man um diese Uhrzeit kaum jemandem. Georgia ging schnell, hielt den Kopf gesenkt und hoffte, die Geschwindigkeit würde sie davon abhalten, sich an Dinge zu erinnern, die die kleine rosa Pille zu verdrängen geholfen hatte. Ohne hochzuschauen trat sie vom Gehsteig auf die einundachtzigste Straße.
Als Erstes hörte sie einen Motor aufheulen. Dann sah sie den Wagen, ein smaragdgrünes Cabrio, das direkt auf sie und Sally zuschoss. Wie angewurzelt blieb Georgia mitten auf dem Zebrastreifen stehen und sah den winzigen, sprungbereiten Jaguar vorne auf der Motorhaube aus viel zu großer Nähe, bevor sie Bremsen quietschen hörte und der Wagen nur wenige Zentimeter vor ihr zum Stehen kam. Ihr Herz machte einen Satz und landete direkt in ihrer Speiseröhre. »O mein Gott«, wisperte sie.
Der Fahrer, ein Mann mit Schnauzbart und nach hinten gewehtem Haar, schüttelte drohend die Faust. »Haben Sie keine Augen im Kopf?«, brüllte er, legte den ersten Gang ein und raste davon.
»Es ist zu kalt, um offen zu fahren!«, schrie sie ihm hinterher. Was Besseres fiel ihr auf die Schnelle nicht ein.
Wieder sicher auf dem Gehsteig, bückte sie sich und schlang die Arme um Sally, die glücklicherweise keine Ahnung hatte, wie knapp sie dem Tod entronnen war. Sally drückte ihre Schnauze an Georgias Schulter, und die tat jetzt, was sie sich bisher so erfolgreich verkniffen hatte. Sie weinte. Tränen schossen ihr in die Augen, sie ließ ihnen freien Lauf und sah zu, wie sie in Sallys Fell versickerten. Ein nasser Fleck breitete sich auf Sallys Kopf aus, reichte bald bis zu ihren buschigen Augenbrauen, und Georgia wusste, dass sie noch lange
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