Kuessen al dente - Roman
Hosen und passenden Oberteilen eingedeckt. Georgia blieb noch eine Weile sitzen, inhalierte die Alte-Welt-Eleganz des Procacci, beobachtete die Parade der lässig, aber teuer gekleideten Italiener, die draußen vorbeizog, legte dann die Scheine auf das Silbertablett und ging hinaus, um sich unter die Passanten zu mischen.
Das Hotel Leo lag an der Viale Michelangelo, einer gewundenen, von herrschaftlichen Villen gesäumten Straße, die in die Piazzale Michelangelo mündete, dem besten Aussichtsplatz in ganz Florenz. Georgia war vor zehn Jahren über dieses Hotel gestolpert, als sie in Claudias erstem Restaurant gearbeitet hatte, und hatte seither einige Male einen kurzen Urlaub hier verbracht. Viel hatte sich seit ihrem ersten Besuch nicht verändert. An den Wänden hingen immer noch die vergilbten Schwarzweißfotos von der Ponte Vecchio, den Uffizien und anderen Sehenswürdigkeiten, und auch die fadenscheinigen Perserteppiche bedeckten nach wie vor die verkratzten Marmorböden. Die Besitzer Gabri und Cesca waren Geschwister und entstammten einer alten Florentiner Familie, deren Stammbaum bis zu den Medici zurückverfolgt werden konnte
– aber dem ärmeren Zweig, wie sie stets bescheiden betonten, als hätte es je arme Medici gegeben. Familienerbstücke wie Schwerter und antike Landkarten dienten zur Dekoration des Hotels und kreierten eine Atmosphäre, die ein wenig an ein mittelalterliches Schloss erinnerte. Das Klientel des Hotel Leo spaltete sich in zwei ganz klar voneinander abgegrenzte Lager: Gruppenreisende und Individualtouristen (sprich: Billigtouristen), die alle versuchten, ein Zimmer mit Blick über die Stadt zu ergattern.
Bei ihrem ersten Aufenthalt hatten Gabri und Cesca sie unter ihre gemeinschaftlichen Fittiche genommen, hatten sie zu protzigen Palazzo-Partys mitgeschleppt, ihr gezeigt, wo sie handgeschöpftes Papier und Mandelölhandcreme kaufen konnte, und ihr bei stundenlangen Kartenspielen den Florentiner Slang beigebracht. Und obwohl sie einige Jahre nicht mehr in Florenz gewesen war, waren ihr das Hotel und sein kleiner Mitarbeiterstab so vertraut wie eine alte Strickjacke.
Mickey, der sich nebenbei als Opernsänger verdingte, wenn er nicht hinter der Rezeption stand, reichte ihr den Schlüssel zu Zimmer 18, kaum dass sie die Lobby betreten hatte. Sie hatte noch nie in einem anderen Zimmer als diesem gewohnt.
» Buongiorno, Mickey«, sagte sie. »Irgendwelche Nachrichten? «
»Bedaure, Signora, keine Nachrichten.« Mickey lächelte mitfühlend und schürzte die Lippen wie ein trauriger Clown. Gabri und Cesca hatten ihm bestimmt ihre Geschichte erzählt, mutmaßte Georgia. »Setzen Sie sich, ich mache Ihnen einen Aperitif.« Er deutete in die Lobby, wo ein junges englisches Paar bei einer Flasche Rotwein saß, in einem Reiseführer blätterte und zwischen schmatzenden Küssen überlegte, wohin sie abends essen gehen sollten.
Georgia wählte ein mit Seide bezogenes kleines Sofa ihnen
gegenüber, setzte ein hoffnungsvolles Lächeln auf, das die beiden zu einem kleinen Plausch in ihrer Muttersprache animieren sollte. Als die beiden nicht hochsahen, räusperte sie sich vernehmlich. Nichts. Bald wühlte der Typ in dem fedrigen blonden Haar der jungen Frau, und Georgia blätterte in einer alten Ausgabe der Vogue Italia .
»Campari mit Soda und einem Schuss Orangensaft«, verkündete Mickey und reichte ihr das hohe Glas. »Und köstliche Oliven aus dem Garten meiner Mutter.« Obgleich an die vierzig und seit kurzem verheiratet, war Mickey durch und durch das italienische Muttersöhnchen. Er stellte ein kleines Schälchen neben ihr Glas. »Gabri und Cesca möchten, dass Sie heute Abend ihr Gast sind. Ich habe für acht Uhr bei Benci einen Tisch bestellt.«
Die Osteria de Benci war ein Lokal, in dem es lässig zuging und mitunter sogar richtig laut werden konnte. Geführt wurde es von den »Benci-Boys«, einer Gruppe junger, gut aussehender Florentiner, die ihren einheimischen und ausländischen Gästen herzhafte regionale Spezialitäten servierten. Ein Abendessen im Benci endete unausweichlich in ein paar Gläsern hausgemachtem Limoncello, einem hochprozentigen Zitronenlikör, der dafür berüchtigt war, schon Dutzenden übereifrigen amerikanischen Touristen den Rest gegeben zu haben.
»Perfekt«, sagte sie. Ein Abendessen mit den beiden war immer eine unterhaltsame Angelegenheit, denn sie schienen beinahe jeden Einwohner von Florenz zu kennen, dort geboren oder zugezogen.
Gedankenverloren
Weitere Kostenlose Bücher