Kuessen al dente - Roman
Wir haben einen Ultraschall machen lassen und konnten ihre Finger und Zehen erkennen. Sergio ist vor Aufregung beinahe in Ohnmacht gefallen.« Sie schüttelte sich vor Lachen. »Männer sind manchmal richtige Babys.«
»Darf ich dich etwas fragen, Claudia?«
»Nur zu. Alles, was du willst.«
»Zu Beginn des Sommers hast du zu mir gesagt, dass du kein Kind oder einen Ehemann brauchst, dass die Restaurants deine Kinder seien. Was hat deine Meinung geändert?«
»Meine Lokale sind meine Kinder. Und solange ich glaubte, kein eigenes Kind haben zu können, waren sie auch genug. Doch als ich es am wenigsten erwartet hatte, funkte das Leben dazwischen.«
»Wie meinst du das?«
»Ich gab die Hoffnung auf, akzeptierte, dass ich offenbar nicht zur Mutter bestimmt war, hatte es wirklich akzeptiert, und lebte mein Leben. Ich meine, welche Chancen hat man schon mit zweiundvierzig? Und dann, irgendwann zwischen dem abblätternden Mauerverputz und dem Totalausfall der Klimaanlage, als ich mit meinen Gedanken ganz woanders war, da merkte ich plötzlich, dass ich mit meiner Periode spät dran war. Ziemlich spät.«
Georgia hatte schon öfter davon gehört, dass so etwas Frauen passierte, die irgendwann alle Hormonbehandlungen und dergleichen abgebrochen und sich in einem kinderlosen Leben eingerichtet hatten. Plötzlich entwickelten sie einen unbändigen Appetit auf saure Gurken und Schinken und McDonald’s-Milchshakes — und das alles gleichzeitig.
»Und mir wurde auch klar, wie sehr ich mich nach einem Baby sehnte. Und wie glücklich ich jetzt darüber bin, doch noch Mutter zu werden. Und wie froh ich bin, dass ich dieses Kind mit Sergio haben kann.« Sie hob eine perfekt in Form gezupfte Braue. »Als Köchinnen können wir uns immer auf unsere Mise en place verlassen. Unsere Vorbereitungen sind übersichtlich, klar geordnet, nahezu unverändert. Aber das Leben ist nicht übersichtlich und verläuft schon gar nicht in geordneten Bahnen. Es bewegt sich, geht auf und ab und
verändert sich. Und wenn wir glauben, endlich alles unter Dach und Fach zu haben, nimmt es wieder eine Wendung. Manchmal in Richtungen, die wir verstehen, manchmal verstehen wir sie auch nicht.« Sie zuckte die Schultern. »Aber wir vertrauen dem Leben trotzdem.«
Die Mise en place einer Küchenchefin — all die Gewürze, Kräuter, Öle und sonstigen Zutaten und Hilfsmittel, die sie für ein reibungsloses Arbeiten in einer professionellen Küche benötigte — war immer perfekt, Schicht für Schicht, Abend für Abend. Das war etwas Verlässliches, Beständiges. Das Leben war, wie Claudia sagte, alles andere als das. Immer wenn man glaubte, alles im Griff zu haben, wenn alles an seinem Platz zu sein schien, kam etwas dazwischen und stellte alles Vorhergehende auf den Kopf, und man musste wieder ganz von vorn beginnen. Manchmal war das unerfreulich. Manchmal aber auch wunderbar.
»Um die Wahrheit zu sagen«, sprach Claudia weiter, »müsste ich nicht unbedingt heiraten. Aber Sergio denkt eben doch noch sehr traditionell. Er glaubt, unsere Tochter verdient ordentlich verheiratete Eltern. Also tue ich es für Sergio und auch für sie … oder ihn. Puh, schon wieder diese Tochterfixierung!« Claudia schalt sich selbst mit erhobenem Zeigefinger.
Der Duft nach Zitronen, frisch, rein und anfangs schwach, als Georgia die Küche betreten hatte, war im Laufe der Unterhaltung immer intensiver geworden und füllte inzwischen den ganzen Raum aus. Georgia ging zum Ofen, schaltete innen das Licht an und spähte durch die Glasscheibe ins Backrohr. In einer runden Form wölbte sich ein goldgelber Kuchen.
»Delizia di Sorrento«, verkündete Claudia. »Ich mache ihn mit Meyer-Zitronen und esse ihn, als wäre es Brot. Noch eines meiner Gelüste.« Sie unterbrach sich kurz. »So, jetzt bin ich mal dran mit fragen.«
»Okay.«
»Wie ich höre, denkst du darüber nach, mit Gianni im Palazzo Lazarro zu arbeiten.«
»Das stimmt. Ja. Ich bin am Überlegen. Das Angebot ist wirklich sehr verlockend. Geld, Prestige, eine fabelhafte Lage und ein Mann, der auch nicht wirklich hässlich ist … Es wäre idiotisch, dieses Angebot nicht ernsthaft in Betracht zu ziehen. «
»Klingt fantastico , Georgia. Wirklich. Aber ist es das, was du willst?« Sie drückte die Hand auf ihr Herz. »Ist es das, was du hier drinnen willst?«
Georgia legte ihre Hände auf die Anrichte und betrachtete sie; die raue Haut, schon etwas runzelig vom vielen Waschen, die kurzen, unlackierten Nägel.
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