Kuessen al dente - Roman
bald zu sepiafarbenen Erinnerungen verblassen.
Der kleine Peugeot hielt vor der Villa, und Georgia stieg ein.
»Bereit?«, erkundigte sich Vanessa, ehe sie anfuhr.
»Klar doch«, log Georgia.
Der Wagen rumpelte über ausgefahrene Spurrillen und Felsen, lose Steine und in der Sonne gebackene Erdklumpen davon. In der Toskana war man nie weit von einer einsamen Landstraße entfernt, und bald war weit und breit kein anderes Auto mehr zu sehen. Der frühe Abend ging in zwielichtige Dämmerung über, die graugrüne Stunde des Tages, wo Objekte zu schattenhaften Schemen wurden und die Landschaft sich mit immer länger werdenden Dreiecken, Rechtecken und Ovalen füllte, sanft gezeichnet und etwas verschwommen wie
ein Pastellgemälde. Mit einem taschentuchgroßen Zettel in der Hand, auf den sie die Wegbeschreibung gekritzelt hatte, saß Georgia stocksteif auf dem Beifahrersitz.
»Verrate mir doch mal, warum wir ausgerechnet in diesem Restaurant essen.« Vanessa hatte die Zähne zusammengebissen und umklammerte das Lenkrad. »Hätten deine Eltern nicht ein noch weiter abgelegenes Lokal finden können?«
»Es ist in der Nähe ihres Hotels, und irgendjemand von der Rezeption hat es ihnen empfohlen.«
»Machst du Witze? Ihre Tochter kocht in Claudia Cavallis Restaurant, das es auf die Titelseite des Taste -Magazins geschafft hat, und sie verlassen sich auf den heißen Tipp irgendeines Hotelpagen?«
»Empfangschef. Tja, das ist typisch für meine Mutter.«
»Kann es kaum erwarten, sie kennenzulernen.« Vanessa schaltete in den Leerlauf und schnappte sich die Wegbeschreibung von Georgias Knien. »Wir hätten an dieser Gabelung links abbiegen müssen. Mann, als Beifahrerin bist du eine echte Niete.«
»Tut mir leid«, nuschelte Georgia abwesend. »Ist mir nicht aufgefallen, dass das eine Gabelung war. Außerdem hat Effie gesagt, dass das Restaurant gar nicht so übel ist.«
»Mag ja sein.« Vanessa rammte den Rückwärtsgang rein und fuhr im Zickzack zurück bis zu der Gabelung. »Aber darum geht es ja nicht, oder?«
Nach ein paar hundert Metern kündigte ein handgemaltes Schild das Restaurant an. Vanessa folgte einem Kiesweg, der in einen winzigen Parkplatz mündete, und scherte schwungvoll in eine freie Lücke nahe dem Eingang ein.
Georgia stieg aus und warf die Tür hinter sich zu. »Wünsch mir Glück, Vee.«
»Du bist doch nicht wirklich nervös, oder?«, flüsterte Vanessa
ihr zu, während sie sich auf dem unbeleuchteten Weg zum Eingang tasteten. »Das sind schließlich deine Eltern.«
»Das sagt du so einfach, weil du meine Eltern nicht kennst. Oder genauer gesagt, meine Mutter. Das hier ist das erste Mal, dass wir uns sehen, seit …«
Georgia brach mitten im Satz ab. Sie war es leid, wie eine zerkratzte Schallplatte zu klingen, wenn die Sprache auf ihre geplatzte Verlobung kam. Sie hatte sich geschworen, nicht mehr über das Glenn-Debakel und ihre unrühmliche Entlassung zu reden, zumindest nicht, bis sie wieder heimischen Boden unter den Füßen hatte. Und Vanessa war bereits ein Profi auf dem Gebiet, die Unterhaltung in eine andere Richtung zu lenken, sobald diese auf das eine oder andere Thema zusteuerte. Sie betraten das Restaurant. Mit den alten Ahorntischen und Stühlen, den Blumenvorhängen, den rosa gestrichenen Wänden und dem lodernden Feuer im offenen Kamin hatte das Lokal fraglos etwas sehr Charmantes. Der Holzofen in der Küche verbreitete einen erdigen Geruch, und die Wandleuchten aus getriebenem, durchbrochenem Zinn sowie die dazu passenden Deckenlampen sorgten für eine angenehme Beleuchtung.
»Na ja«, meinte Vanessa. »So falsch lag dieser Bursche anscheinend gar nicht. Hier riecht es gut, es sieht gut aus, und sie haben sogar anständiges Licht.«
Was das Essen anging, brauchten italienische Gastwirte keinen Nachhilfeunterricht, wohl aber was die Einrichtung betraf, besonders die Beleuchtung. Da konnten sie sich noch die eine oder andere Errungenschaft von der Neuen Welt abschauen. Es war durchaus möglich, in einer ansonsten gemütlichen Trattoria auf grelle Neonröhren an der Decke zu stoßen, unter denen das Essen fad und wenig appetitanregend aussah.
»Georgia!«, bellte eine männliche Stimme. An einem Tisch in der hintersten Ecke des Lokals erhob sich ein bärtiger Mann mit Brille. »Hier sitzen wir, Georgia!« Hal wedelte mit der Hand.
»Mein Vater«, raunte Georgia und winkte zurück. Die beiden Frauen schlängelten sich an den Tischen mit vorwiegend Englisch sprechenden
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