Kuessen Auf Eigene Gefahr
gelassen. Man weiß ja nie.»
«Entschuldigen Sie bitte, Sir.» Ein Oberkellner im Frack berührte Elijah höflich am Arm. «Es tut mir außerordentlich leid, aber ich muss Sie bitten zu gehen.»
«Da!» Ihr Vater deutete in den Raum hinein und Trinity wirbelte herum.
Sie sah Martin sofort. Er trug einen schwarzen Anzug mit roter Fliege und war nahezu kahl. Sie konnte keinen Ehering entdecken, aber er dinierte mit einer attraktiven Frau in einem dunkelroten Kleid, dessen Farbe auf sein rotes Einstecktüchlein abgestimmt zu sein schien.
Trinity spürte einen Druck auf ihrem Herzen. Sie schloss die Augen und versuchte sich vorzustellen, dass ein reines Licht ihren Brustkorb ausfüllte.
«Was machst du da?», fragte Reinas Stimme direkt an ihrem Ohr.
«Ich meditiere.» Sie schaffte es nicht, sich zu konzentrieren. Sie konnte nur an Martin denken, daran, dass er mit ihr im selben Raum saß. An ihren Kuss. Und daran, wie er an jenem Tag, als sie erfolglos versucht hatte, ins Cheerleader-Team aufgenommen zu werden, mit ihr ein Eis essen gegangen war. Beim Vortanzen war sie blöderweise auf dem Kapitän der Mannschaft gelandet, worauf man sie auf Lebenszeit vom Spielfeld verbannt hatte. Er war damals so lieb zu ihr gewesen.
Okay. Diese Erinnerung war jetzt wirklich nicht hilfreich.
Sie bemühte sich angestrengt an nichts, als das weiße Licht zu denken. Das war die Gelegenheit, sich selbst zu beweisen, dass sie dem Fluch widerstehen konnte und nicht das Monster war, das sie befürchtete zu sein.
«Trinity!» Ihr Vater riss sie mit solcher Gewalt hoch, dass sie sich an einem Stuhl abstützen musste, um nicht hinzufallen. «Los. Wir verschwinden durch den Hintereingang.»
«Jawohl, Sir, das wäre eine gute Idee», stimmte ihm der Oberkellner zu, der immer noch um sie herumschwirrte. Trinity konnte die Hitze fühlen, die von Martins Gegenwart ausging.
Oh oh. Er stand ja einige Meter von ihr entfernt. Eigentlich sollte sie ihn da gar nicht spüren können. Benommen öffnete Trinity die Augen. Der Raum erschien ihr mit einem Mal so hell. Die Lampen so grell. Überempfindlichkeit gegen Hitze und Licht – das konnte nur eins bedeuten: Der Fluch begann soeben mitzumischen.
Ihr ganzer Körper kribbelte, als säßen Hunderte Käfer auf ihr. Sie biss die Zähne fest zusammen. «Ich schaffe es –»
«Trin!» Reina stand mit besorgter Miene vor ihr. «Nur noch sieben Tage! Vermassel es jetzt nicht!»
«Es reicht nicht, den Fluch einfach loszuwerden. Ich muss mir beweisen, dass ich stärker bin als er.» Trinity machte sich aus der Hand ihres Vaters los und sah Martin direkt an. Sie nahm die ganze Fülle seines Wesens in sich auf. Ließ ihre Zuneigung für ihn zu. Schloss die Bedeutung, die er für sie hatte, tief in ihrem Herzen ein. «Er ist ein guter Mensch. Er verdient es zu leben. Er ist ein guter Mensch –»
Oberhalb seines Herzens erschien ein Regenbogen, der wie im Sonnenlicht glitzerte.
«Oh Mann.» Das war ein ganz schlechtes Zeichen.
Sie machte einen Schritt rückwärts, doch sie konnte die Augen nicht von dem strahlenden Prisma lösen, das sie nun leitete, das ihr unfehlbarer Navigator war und ihr zeigte, wie sie ihn töten konnte.
Vor Martins Gestalt baute sich ein holografisches Bild auf. Das halbdurchsichtige Prisma nahm eine amorphe, geschlechts- und identitätslose menschliche Form an, und diese dreidimensionale Figur rammte nun ihre Handfläche auf Martins Herzgegend. Ein holografischer Martin griff sich an die Brust und fiel zu Boden. Tot.
Wieder und wieder tötete ihn das Hologramm in einer mörderischen Endlosschleife.
Es zeigte ihr detailgenau, wie sie ihn umbringen konnte. Martin hatte ein schwaches Herz. Wenn sie mit genug Kraft auf seine Brust schlug, würde es stehen bleiben. Er wäre augenblicklich tot.
Ihre Muskeln spannten sich an, zuckten und dehnten sich und bereiteten sich auf den Angriff vor. Noch dreißig Sekunden und alles wäre vorbei. Für immer eine Schwarze Witwe.
Sie hatte versagt.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie griff nach ihrer Tasche, riss sie auf und suchte das kleine Geschenk, das sie am Vortag für sich selbst besorgt hatte. Als sie die schwarze Waffe erblickte, die neben ihrer Geldbörse steckte, wurde ihr schwer ums Herz. Wie hatte sie nur so tief fallen können? Aber es war geschehen. Es ließ sich nicht leugnen.
Der Fluch übernahm immer schneller und unerbittlicher die Kontrolle, viel schneller als jemals zuvor. Ihr blieben nur noch Sekunden. Sie biss
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