Küssen auf eigene Gefahr
Sie spürte, wie er den Kopf senkte, um auf sie hinunterzublicken, schloss rasch die Augen und tat so, als schliefe sie noch. Es war eine instinktive Reaktion und kindisch noch dazu, aber jetzt konnte sie nichts mehr daran ändern. Und wenn sie sich dadurch, dass sie sich schlafend stellte, ein oder zwei peinliche Momente ersparte, war ihr das nur recht.
Er nahm seine Hand von ihrem Knie und zog seinen Arm unter ihrem Kopf weg. Einen Augenblick später stand er auf und holte seine Reisetasche von der Gepäckablage. Dann war er verschwunden, wahrscheinlich ging er zur Toilette im hinteren Teil des Busses.
Catherine öffnete die Augen und setzte sich auf. Steif und benommen streckte sie sich auf ihrem Sitz, so gut es ging, um ihre verspannten Muskeln wenigstens ein bisschen zu lockern. Sie setzte sich aufrecht hin, verschränkte die Hände im Nacken, drückte die Schultern nach hinten und bog den Rücken durch, um ihre Wirbelsäule zu dehnen, dabei drehte sie gleichzeitig den Kopf nach links und reckte das Kinn in die Höhe. Als sie anschließend den Kopf nach rechts drehte, blieb ihr Blick an dem Mann hängen, der auf gleicher Höhe mit ihr auf der anderen Seite des Ganges saß. Dessen Blick wiederum war unverwandt auf ihre Brüste gerichtet.
Ihr erster Impuls war, die Schultern einzuziehen und ihre Rundungen zu verstecken, so das überhaupt möglich war. Aber irgendetwas - Ärger? Trotz? - ließ sie innehalten. Zwar änderte sie ihre aufreizende Haltung, aber sie gab sich nicht der Hoffnung hin, in dem hautengen Oberteil ihrer Schwester etwas verbergen zu können. Also tat sie das Nächstbeste. Sie starrte den Mann so lange an, bis sich sein Blick von ihren Brüsten löste. Als er merkte, dass sie ihn ohne jedes Lächeln mit hochgezogenen Augenbrauen beobachtete, lief er rot an und sah schnell weg.
Das verschaffte ihr wenigstens ein gewisses Gefühl von Macht.
Sie drehte sich um und blickte aus dem Fenster, obwohl sie kaum etwas von der Landschaft, die daran vorbeizog, wahrnahm. Gestern Abend war sie vor lauter Panik zu keinem klaren Gedanken mehr fähig gewesen, aber die hatte sich gelegt. Jetzt galt es, Entscheidungen zu treffen. Eine Möglichkeit bestand natürlich darin, sich von McKade wie ein geduldiges Schaf quer über den Kontinent schleifen zu lassen. Sie könnte sich ruhig verhalten und hinter ihren mühsam erworbenen guten Manieren verschanzen, sich an McKades Spielregeln halten und die Angelegenheit klären, sobald sie in Miami waren. Genau das hätte sie gestern wahrscheinlich auch noch getan.
Heute gefiel ihr diese Möglichkeit nicht mehr.
McKade hatte ihr Leben auf den Kopf gestellt, und das nur um ein paar lausiger Dollar willen, und sie sah keinen Grund, warum sie ihm seinen Job allzu leicht machen sollte. Offensichtlich war ihm daran gelegen, sie so schnell wie möglich nach Miami zu bringen und seine Prämie zu kassieren, obwohl sie beim besten Willen nicht verstand, wie der Greyhound-Bus in diesen Plan passte. Nun, an der Art ihres Transportmittels war nichts mehr zu ändern, und sie musste sich auf den wesentlichen Punkt konzentrieren. Und der war klar. Wenn McKade es so eilig hatte, dann gab es für sie nur eins - sie musste alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Reise zu verzögern. Und um das zu bewerkstelligen, blieb ihr keine Alternative.
Bei der Vorstellung, sich so zu benehmen, wie es Kaylee in ihrer Situation getan hätte, krümmte sich Catherine innerlich zusammen. Seit sie erwachsen war, hatte sie nichts anderes getan, als sich einen Platz im Leben zu schaffen, der von dem freizügigen Milieu, in dem sich ihre Schwester bewegte, Welten entfernt war.
Doch manchmal zahlte es sich einfach nicht aus, die freundliche, gut erzogene Frau zu sein. Man musste sich ja nur einmal ansehen, wie weit sie es damit gebracht hatte. McKade war so verdammt selbstgefällig und felsenfest davon überzeugt zu wissen, wer ihm da in die Hände gefallen war. Und wenn dem so war, dann durfte sie den guten Mann doch nicht enttäuschen, oder? Er beharrte darauf, dass sie Kaylee war; na gut, dann würde er Kaylee auch kriegen.
Und zwar ohne Wenn und Aber.
Sam ging langsam durch den Gang zu seinem Platz zurück. Du lässt gefälligst die Finger von der Frau , sagte er sich zum x-ten Mal, seit er den Rotschopf schlafend zurückgelassen hatte und in die Toilette geflüchtet war. Hast du das kapiert, McKade? Du hast einen Job zu erledigen, und dabei darf nichts in die Hose gehen. Er gab ein Schnauben von
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