Küssen auf eigene Gefahr
voreilig handelte. Unter keinen Umständen würde sie das Risiko eingehen, dass Sam genug Zeit hatte, sich etwas einfallen zu lassen, bevor der Bus weiterfuhr. Sie sah sich in dem Café um.
Es war bis auf den letzten Platz mit Busfahrgästen besetzt. Die Kellnerinnen hetzten herum, nahmen Bestellungen auf und schenkten Kaffee nach. Die für ihren Tisch zuständige Kellnerin blieb gerade lange genug bei ihnen stehen, um Sams Tasse mit Kaffee zu füllen und zwei in Papierservietten gewickelte Bestecke vor sie zu legen. Catherine wickelte ihr Besteck aus und breitete die Serviette über ihren Schoß.
Fünfzehn Minuten später war die Kellnerin wieder da und brachte ihnen das bestellte Essen. »Seien Sie vorsichtig, die Teller sind heiß. Guten Appetit.«
Catherine aß nur wenig. Sie schob die Bissen auf ihrem Teller hin und her und ließ den Busfahrer, der zwei Tische weiter saß, nicht aus den Augen.
»Verdammt noch mal, essen Sie das jetzt, oder spielen Sie bloß damit herum?«, fragte Sam ärgerlich, und sie zuckte zusammen und wandte ihm langsam ihren Blick zu.
»Ich bin doch nicht so hungrig, wie ich dachte«, brachte sie mit überzeugend wirkender Gelassenheit heraus.
»Dann geben Sie es her. Vielleicht sind Sie ja im Luxus aufgewachsen, Red, aber da, wo ich herkomme, haben wir kein Essen weggeworfen.«
Catherine starrte ihn ungläubig an. »Niemand, der auch nur ein bisschen Verstand hat, würde die Umgebung, in der ich aufgewachsen bin, als luxuriös bezeichnen.« Bei der Erinnerung an die Verhältnisse, in denen ihre Familie gelebt hatte, entfuhr ihr ein kurzes Schnauben. »Aber ich habe vergessen, dass es ja um Sie geht.«
»Ja, meine Ansprüche sind ziemlich gering, schon recht.« Er verstand ihre Beleidigung absichtlich falsch und streckte die Hand nach ihrem Teller aus. »Wenn Sie wussten, woher das Geld für das Essen der nächsten Woche kommen soll, hatten Sie es gut, würde ich sagen.« Er schaufelte sich ihr Frühstück bis auf einen kleinen Rest auf seinen Teller und schob ihr dann ihren Teller wieder zu. »Hier, essen Sie das.«
»Ich habe doch eben gesagt, dass ich nicht -«
»Und ich habe gesagt, Sie sollen essen. Sie haben gestern Abend nichts gegessen, und ich habe keine Lust, dabei zuzusehen, wie Ihnen vor Hunger schlecht wird.«
»Oh, nein, wir wollen dem unerschrockenen Kopfgeldjäger ja keine Unannehmlichkeiten bereiten«, gab sie schnippisch zurück und piekste mit ihrer Gabel ein paar Bratkartoffeln auf. Der Ärger wirkte beruhigend auf ihren nervösen Magen, und sie aß ihren Teller leer. Sie blickte über den Tisch. »Geben Sie mir ein Stück von dem Steak zurück.«
Er schnitt den Rest in der Mitte durch und gab ihr eine Hälfte.
Nur allzu bald waren sie mit dem Frühstück fertig, ihre Kaffeetassen waren ein weiteres Mal gefüllt worden, und Catherines innere Uhr zeigte auf fünf vor zwölf. Zeit zu handeln. Sie stand auf. »Ich muss mal auf die Toilette.«
»Nicht so schnell.« Sam griff über den Tisch und schnappte sich ihre Handtasche. »Geben Sie mir Ihren Lippenstift.«
»Wie bitte?«
»Stellen Sie sich nicht dumm, Red. Geben Sie mir Ihren Lippenstift.«
Catherine stieß einen Seufzer aus, tat jedoch wie geheißen, kramte einen Lippenstift hervor und gab ihn ihm.
»Ich will alle, Red.«
Sie förderte drei weitere zutage und lieferte sie ebenfalls ab. »Zufrieden?«
»Ich bin erst dann zufrieden, wenn ich mir in Miami meine Prämie abholen kann.« Er begleitete sie zur Toilette, öffnete die Tür und steckte den Kopf hinein, um sicherzugehen, dass es keinen zweiten Ausgang gab.
Es gab keinen. Die Toilette war ein winziger, fensterloser Raum mit einem Klo, einem Waschbecken und einem Regal voller Putzutensilien. Catherine schlug ihm die Tür vor der Nase zu, verriegelte sie hinter sich und ging zum Waschbecken, wo sie sich mit beiden Händen auf das kühle Porzellan stützte. Sie ließ den Kopf nach vorne sinken und holte ein paar Mal tief Luft. Dann hob sie den Kopf und betrachtete sich in dem fleckigen Spiegel.
Okay, sie würde es schaffen - so schwer konnte es schließlich nicht sein, oder? Sie musste nur eine klitzekleine Szene machen und dabei gerade so viel Theater veranstalten, dass der Busfahrer keine Lust hatte zu warten, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Sie konnte und sie würde es tun, wenn sie damit erreichte, dass sie McKades geliebten Zeitplan durcheinander brachte.
Denk bloß nicht darüber nach, wie idiotisch du dir dabei Vorkommen wirst. Sie
Weitere Kostenlose Bücher