Kuessen gut, alles gut
Flugzeugticket entfernt. Wenige Stunden davon entfernt, wahr zu werden.
In ihrem Magen rumorte es noch mehr, als sie einen Schritt weiter nach vorn ging. Es wurde mit jedem Schritt schlimmer, bis sie fürchtete, sich gleich übergeben zu müssen. Ihre Brust schmerzte, ihr wurde schwindelig, und sie versuchte, tief durchzuatmen. Ihr Hals und ihre Wangen liefen rot an, und nur wenige Meter vom Schalter entfernt bückte sie sich unter dem Absperrseil hindurch, bevor sie noch zusammenklappte. Sie schlängelte sich durch die Reisenden und das Gepäck. Sie bekam keine Luft und lief in einen Geschäftsmann hinein, der gerade telefonierte. Sie rannte fast durch die automatischen Türen und rang nach Luft, sobald sie draußen war. Sie sog die feuchten Abgase so tief in ihre Lunge wie möglich.
Eine Panikattacke. Sie erkannte es daran, dass ihr Gesicht rot anlief, und an dem Hämmern in ihrem Kopf und in ihrer Brust. Sie hatte schon öfter welche gehabt, wusste aber inzwischen, dass sie nicht daran sterben würde. Dass ihr Herz nicht zerspringen würde und sie, wenn sie sich auf etwas anderes konzentrierte, nicht in Ohnmacht fiele.
Menschen hasteten an ihr vorbei, Autos hupten, und sie lief einfach los. Wohin wusste sie nicht. Einfach irgendwohin, ehe die letzten zwölf Stunden sie einholten und sie doch noch ohnmächtig wurde oder noch schlimmer. Ein Hilton-Shuttlebus hielt zwischen einem Kleintransporter und einem Taxi am Straßenrand, und sie lief weiter. Während sie vom nördlichen zum zentralen Flughafengebäude lief, knallte ihr die Sonne ins Gesicht. Sie blieb stehen, um sich die Sonnenbrille aus den Haaren zu ziehen, und schob sie sich auf die Nase. Die nachmittägliche Brise bewegte die Palmen auf der Flughafen-Aussichtsterrasse auf der anderen Straßenseite. Flaggen von überall auf der Welt standen wie Wachposten an einem Ende und flatterten im leichten Wind. Sie überquerte die Straße, um zu dieser Oase inmitten von Beton, Stahl und Glas zu gelangen. Ihre Sporttasche war nun so schwer, dass ihr der Arm wehtat, während sie einem schwarzen Truck auswich und um ein Haar von einem Toyota Prius niedergemäht worden wäre. Im Grün versteckt fand sie eine Bank und ließ sich dankbar darauf sinken. Sie ließ Sporttasche und Rucksack fallen und hob das Gesicht zum Himmel. Sie machte tiefe, zittrige Atemzüge und schloss die Augen. Ihr Herz würde nicht zerspringen, sagte sie sich. Sie würde nicht sterben. Sie würde auch nicht ohnmächtig, wenn sie langsamer atmete und sich beruhigte.
Aus irgendeinem Grund hatte der Gedanke, in den Flieger zu steigen und ihren Kindheitstraum zu leben, sie endgültig in die Panikattacke getrieben, der sie mit Mühe entgangen war, seit Ricky sie gestern Nacht angegrapscht hatte. Das war beängstigender als Mafiosi, die versuchten, in ihre Wohnung einzudringen. Obwohl auch das sie sehr geängstigt hatte.
Sie atmete langsam aus und stützte sich mit den Unterarmen auf den Schenkeln ab. Sadie hatte Beau Junger angeheuert, um sie ausfindig zu machen. Sie wollte Stella kennenlernen. Was war daran so beängstigend? Was hatte sie davon abgehalten, in den Flieger nach Texas zu steigen?
Stella lockerte ihre Schultern und starrte auf die Spitzen ihrer Doc Martens. Wovor hatte sie Angst?, fragte sie sich selbst, obwohl sie die Antwort kannte. Sie hatte schon vor langer Zeit herausgefunden, dass manche Menschen sie einfach nicht mochten. Ob es nun an ihrem Humor oder an ihrer Lebenseinstellung lag. Manche Leute fanden sie nicht so schreiend komisch wie sie sich selbst. Anderen gefiel ihre Ziellosigkeit nicht. Sie schien tatsächlich von Job zu Job und von Ort zu Ort zu ziehen. Sogar in ihrer Familie gab es Menschen, die sie nicht mochten. Sie nannten sie güera. Weißes Mädchen, und das war nicht nett gemeint. Sie hielten sie wegen des Geldes ihres Vaters für verwöhnt, dabei hatte es ihr nie gehört. Der Fonds war zwar auf ihren Namen eingerichtet, doch sie hatte nie darüber verfügen können.
In Stellas Augen brannten Tränen. Sie fühlte sich wieder wie als kleines Mädchen, als sie allein in ihrem Zimmer auf ihrem Bett gelegen hatte, und eine ihrer größten Ängste überrollte sie erneut. Was, wenn Sadie sie nicht mochte? Lieber wollte sie ihre Schwester ihr Leben lang nicht kennenlernen, als von ihr so angesehen zu werden wie von manchen Leuten. Wie von ihrem eigenen Vater.
Als die erste Träne auf das Glas ihrer großen Sonnenbrille tropfte, erschienen die Spitzen von schwarzen
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