Kuessen gut, alles gut
zu überbringen. Mehr nicht. »Okay. Ciao.« Sie machte auf den Absätzen ihrer Doc Martens kehrt, lief auf die Automatiktüren zu und betrat das Flughafengebäude. Die Schlangen an den Ticketschaltern wanden sich durch die mit Seilen voneinander abgetrennten Zonen, in denen sich Reisende drängten. Familien mit Kleinkindern schoben Buggys und Gepäckwagen. Er hatte gesagt, sie hätte ein Businessclass-Ticket bei American Airlines. Sie schaute sich ein letztes Mal nach ihm um, während der SUV losfuhr. Wollte sie das wirklich? Konnte sie das wirklich? Einfach in den Flieger steigen und ihre Schwester kennenlernen? Menschen hasteten an ihr vorbei, Stimmen bedrängten sie, und ihr Telefon klingelte. Sie stellte ihre Sporttasche ab, griff in eine Seitentasche ihres Rucksacks und zog es heraus. Auf dem Display leuchtete die Nummer von Ricky’s Rock ’n’ Roll Saloon auf. Ricky. Beim Gedanken an ihn zog sich ihre Kopfhaut zusammen und kribbelte. Vielleicht war es auch Malika. Ihre Freundin und Kollegin war sehr unzuverlässig, wenn es um die Begleichung ihrer Handyrechnung ging, weshalb ihr Telefon oft gesperrt wurde. Sie sollte sich wenigstens von Malika verabschieden. Ihr versichern, dass es ihr gut gehe. Nachdem sie noch ein paar Sekunden auf das Handy gestarrt hatte, nahm die den Anruf entgegen.
»Hallo?«
»Wo bist du?«
Es war nicht Malika, und sie musste gegen den Drang ankämpfen, sich zu ducken und in Deckung zu gehen, als sie die Stimme ihres ehemaligen Arbeitgebers hörte. Er war so sauer, dass es sich anhörte, als würde er mit zusammengebissenen Zähnen sprechen.
»Sag mir, wo du bist, Stella.« Als sie Ricky das letzte Mal gesehen hatte, hatte er wie ein lebloses orangerotes Bündel vor ihr gelegen. »Ich werde dir nicht wehtun.«
Na klar.
»Ich will nur den Namen deines Freundes.« Er schwieg. »Hallo? Bist du noch da?«
»Er ist nicht mein Freund.«
»Gehört er zu diesen Gorokhov-Drecksäcken?«, stieß er zwischen den Zähnen hervor. »Er sah aus wie ein Russe.«
»G. I. Joe?« Er sah typisch amerikanisch aus.
»Er heißt also G. I. Joe? Und weiter?«
»Ich hab ihn gestern Nacht erst kennengelernt.« Was stimmte. »Er war bloß irgendein Typ auf dem Parkplatz.« Was zum größten Teil stimmte.
»Auf dem Parkplatzvideo ist zu sehen, wie du mit ihm weggehst.«
Die Sicherheitskameras auf dem Parkplatz hatte sie ganz vergessen. »Dann können Sie wahrscheinlich auch sehen, dass ich genauso überrascht war wie Sie, ihn zu sehen.« Einen Augenblick lang war sie optimistisch und glaubte, dass ihr ehemaliger Boss mit sich reden ließe. Dass sie vielleicht alles wieder geradebiegen könnte. »Ich schwöre, dass …«
»Lass den Scheiß!«, brüllte Ricky ins Telefon, was ihre unrealistische Hoffnung zunichtemachte, und ihr sträubten sich die Nackenhaare. »Diese Gorokhov-Drecksäcke versauen mir das Geschäft. Keiner zieht mir das Geld aus der Tasche und kommt ungeschoren davon. Niemand setzt mich unter … Was ist das für ein Lärm?«, unterbrach er sich selbst. »Bist du am Flughafen?«
Sie legte schnell auf und sah sich panisch um, als rechnete sie damit, von Ricky oder einem der Gallo-Brüder gepackt zu werden. Ihr blieb die Luft weg, als sie sich nach ihrer Sporttasche bückte. Sie begab sich zum Abfertigungsschalter der Businessclass und reihte sich in die Warteschlange ein. Ricky wusste nicht mit Sicherheit, dass sie am Flughafen war, beruhigte sie sich, doch selbst wenn er dem Verdacht nachginge, bräuchte er von der Bar bis hierher eine halbe bis Dreiviertelstunde.
Die Sporttasche wurde immer schwerer, während Stella in der Schlange vorrückte. Er müsste erst mal das Terminal und die Fluglinie rauskriegen, und die Wahrscheinlichkeit, dass er sie wirklich fand, tendierte gegen null. Was ihren durchgeknallten Exboss betraf, beruhigten die strengen Sicherheitskontrollen ihre Nerven, aber gegen den anderen Grund für ihren rebellierenden Magen halfen sie nicht.
Sadie.
Stella rückte weiter vor. In den letzten Jahren hatte sie den Traum, ihre Schwester kennenzulernen, aufgegeben. Ihn mit ihren anderen Kindheitsträumen weggepackt und sich keine Gedanken mehr darüber gemacht. Sie hatte nicht mehr viel an ihre Familie gedacht. Schon gar nicht an Sadie. Doch jetzt, wo Sadie sich mit ihr treffen wollte, überwältigten die alten Gefühle von Sehnsucht, Hoffnung und Schmerz sie aufs Neue. Die Sache, die sich Stella als Kind so verzweifelt gewünscht hatte, war nur noch ein
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