Kuessen gut, alles gut
bereit. Sie schüttelte den Kopf. »Das kommt ein bisschen plötzlich.«
»Wollten Sie lieber bei Linkie Lou bleiben?«
»Nein.« Aber sie war nicht bereit, ihre Schwester zu treffen. Und jetzt schon gar nicht. Nicht jetzt, wo ihr Leben nichts als ein dampfender Misthaufen war. Stöhnend legte sie die Finger über dem Sonnenbrillenrahmen an ihre Schläfen. Hatte sie laut gestöhnt oder nur in Gedanken?
Der Cadillac Escalade fuhr langsam an Fahrzeugen und Taxis vorbei, die am nördlichen Terminal am Straßenrand parkten, und hielt hinter einem Lincoln Town Car. »Ihr Flug geht in einer Stunde«, hörte sie die Stimme vom Fahrersitz über das Getöse in ihrem Kopf hinweg sagen. »American Airlines, Flug 484, Flughafenhalle D. Sie fliegen Businessclass und sollten massenhaft Zeit haben, durch den Sicherheitscheck zu gehen.«
»Businessclass?«, hörte sie ihre eigene Stimme kieksen.
»Bedanken Sie sich bei Ihrer Schwester.« Er stieg aus und lief vorn um den Wagen herum. Er trat aus der grellen Miami-Sonne, die in seinen kurzen blonden Haaren und auf seinen Sonnenbrillengläsern leuchtete, in den Schatten des metallenen Vordachs. Er öffnete die Beifahrertür, und sie schnallte sich mit einem leisen Klicken ab. »Sadie weiß über Ricky und die Gallo-Brüder Bescheid?«
»Nein. Sie weiß nur, dass Sie kommen.«
Allem Anschein nach, ob sie nun wollte oder nicht. Sie stieg aus und fädelte den Arm durch einen Rucksackgurt. Früher, als sie noch Fantasien über ein Treffen mit Sadie gehegt hatte, war Stella immer in irgendetwas erfolgreich gewesen. Ob nun mit fünf als Prinzessin, oder als Einhorn-Trainerin mit zehn, oder mit fünfzehn als Rockstar.
»Mein Bruder Blake holt Sie am Flughafen ab.«
Irgendwo hupte ein Auto, und der Lärm und die Auspuffgase eines Shuttlebusses verpesteten die Luft. »Woher soll ich wissen, wer er ist?« Und in keiner ihrer Schwestertreffen-Fantasien war sie Barkeeperin gewesen.
»Das wissen Sie dann schon.«
Eine Barkeeperin auf der Flucht vor der Mafia. »Und wie?«
»Er ist mein Zwillingsbruder.«
»Es gibt zwei von Ihnen?« Selbst durch ihren Gefühlswirrwarr und die Karambolage der rasenden Gedanken in ihrem Kopf zuckte sie angesichts dieses Grauens zusammen.
»Ja, richtig geraten.« Er reichte ihr die Sporttasche vom Rücksitz. »Sie müssen die Tasche nicht mal einchecken.«
»Oh.« Sie wollte nicht. Auf keinen Fall, aber das interessierte niemanden.
Er schob ihre Sonnenbrille nach oben und hob mit seiner Pranke ihr Kinn an, sodass sie ihn ansehen musste. Seine Berührung fühlte sich warm, fest und seltsam tröstlich an. Wie eine starke Kraft in einem Leben, das in Turbulenzen geriet. Nur dass er verantwortlich für die größten Turbulenzen war. Autos hupten um sie herum. Trolleys ratterten über das Pflaster, während er sie durch seine verspiegelten Sonnenbrillengläser anstarrte. Als sie einen Blick auf ihr Spiegelbild erhaschte, zuckte sie innerlich zusammen. Sie sah grässlich aus. Müde, blass und wie das reinste Nervenbündel.
»Kommen Sie klar?«
Sie wandte das Gesicht ab und trat einen Schritt zurück. Was spielte das für eine Rolle? Ihm war das doch völlig egal. Er wollte sie bloß am Straßenrand abladen und sein Leben weiterleben. Sie schob ihre Sonnenbrille wieder herunter und lächelte gezwungen. »Mir geht’s gut.«
»Sind Sie sicher?« Er legte den Kopf schief und fügte mit der ihm eigenen Sorte Einfühlungsvermögen hinzu: »Sie sehen aber nicht besonders gut aus.«
»Danke.«
»Sind Sie nervös, weil Sie Ihre Schwester treffen?«
Nervös? »Nein.« Völlig panisch.
»Gut. Denn sie will Sie offensichtlich treffen.«
Sie wusste nicht, was sie mehr in Panik versetzte. Die Aussicht, in Miami zu bleiben und Linkie Lou in die Arme zu laufen, oder nach Texas zu fliegen und Sadie zu treffen. »Großartig.« Sie hob die Hand und winkte zaghaft. »Danke fürs Mitnehmen und dass Sie mich vor den Gallo-Brüdern gerettet haben.« Auch wenn es allein seine Schuld war, dass sie überhaupt vor ihrer Tür gestanden hatten.
»Nichts zu danken.« Er lief zum vorderen Teil des SUV. »Meine Karte haben Sie ja. Rufen Sie mich auf dem Handy an, wenn Sie irgendwas brauchen.«
Sie trat noch einen Schritt zurück und ließ die Hand sinken. Das meinte er sowieso nicht ernst. Sein Auftrag war erledigt. Sie war ihm völlig egal, und wieso auch nicht? Schließlich kannte er sie gar nicht und schuldete ihr nichts. Er war von Sadie angeheuert worden, ihr eine Nachricht
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