Kuessen kann schon mal passieren
wiederholen würden. Wir sprachen es zwar nicht aus, aber es war auch so klar. Ich sah es an Lucas Blick und er wahrscheinlich auch an meinem.
Nur Jade fand, dass es zwischen Luca und mir viel zu easy lief, um auch wirklich easy zu sein. Erst die gemeinen Beleidigungen und dann reichte ein Kuss â ein Zungenkuss wohlgemerkt â, damit alles wieder in Butter war? Auch noch Tage später fand sie die Sache total abgedreht und war der Meinung, dass sich niemand ohne den Hintergedanken an Sex küsste. Ich war da anderer Meinung und lieà Jades Geschwätz wie die Sommerwolken am Himmel vorüberziehen. Ich fand, sie teilte das Leben viel zu sehr in Schwarz und Weià ein und übersah dabei die vielen Schattierungen dazwischen. Neben Sexküssen gab es Freundschaftsküsse, Geschwisterküsse, Versöhnungsküsse, Mutter-Kind-Küsse und eben auch Ausrutscher, wie es bei Luca und mir der Fall gewesen war. Kein Grund, das Ganze unnötig aufzubauschen. Luca war nicht mein Freund, er war ein Freund, und dass wieder alles in Butter war, fühlte sich ziemlich gut an.
Das Schuljahr neigte sich dem Ende zu, womit die Zeugnisse automatisch näher rückten. Ich gab mich entspannt, dabei war mir schlecht wie auf einer Kreuzfahrt bei Windstärke zehn. Ich wusste, dass mein Zeugnis mies ausfallen würde. Nichts, weswegen man sich auf die Schulter klopfen konnte. Das Problem war nicht mal Mama â sie hatte irgendwie immer Verständnis für mich â, sondern die Katastrophe schwarz auf weià in den Händen zu halten. In meinem Fall bedeutete dies eine Fünf in Physik, Vieren in Mathe und Französisch (Lucas Schummelversuch hatte es nicht rausgerissen), eine kippelige Drei in Deutsch, eine Zwei in Chemie (mein plötzliches Wunderfach) und eine Eins in Sport, der Rest waren stinknormale Dreien.
Ich warf bloà einen kurzen Blick auf den Wisch, dann stopfte ich ihn in meine Tasche und hoffte, dass die Welt morgen wieder rosiger aussehen würde. Immerhin waren Ferien. Ausschlafen, lesen, baden gehen. Zu dumm nur, dass Jade und Luca verreisten und ich als Einzige in unserem Kaff zurückblieb, denn Mama und ich konnten uns keine schicke Reise leisten. Die Ratenkredite für den Fernseher und den Computer, die Mama noch bis Ende des Jahres abzuzahlen hatte, fraÃen jeden Cent auf. Also musste ich mich mit dem Schwimmbad zufriedengeben und darauf hoffen, dass Onkel Paul uns vielleicht zu einem kleinen Trip an den Baggersee einladen würde.
Während Jade mit ihrem Vater und dessen neuer Freundin für zwei Wochen nach Teneriffa flog (und das umweltschädliche Fliegen plötzlich gar nicht mehr daneben fand), fuhr Luca nach Italien. Zu seinem dubiosen Papi, seiner Tante und seiner Arschloch-Ex. Genaueres wusste ich nicht. Er machte ein ziemliches Geheimnis daraus. Ein paarmal hatte ich versucht das Thema Vater anzusprechen, doch da er immer bloà das Gesicht verzog und keinen Ton sagte, drang ich nicht weiter in ihn. Ich vermutete, dass sein Daddy ihm den Geldhahn zugedreht hatte und er deswegen sauer war. Nobelklamotten kosteten eben viel Geld und bei Onkel Paul konnte niemand reich werden.
Den Tag vor Lucas Abfahrt verbrachten Luca, Jade und ich im Schwimmbad. Während ich mit geschlossenen Augen dalag und die Wärme auf meiner Haut genoss, benoteten Jade und Luca â albern wie Kinder â die anderen Badegäste. Gackernd verteilten sie Dreien, Vieren und Fünfen und nur wenige Einsen und Zweien.
»Los, Lena, spiel mit!«, kreischte Jade. Ich wunderte mich schon ziemlich, dass ihr Anton-Liebeskummer so schnell verflogen war, aber vielleicht machte sie sich selbst und allen anderen auch nur etwas vor.
»Danke, kein Bedarf«, murmelte ich und wälzte mich auf den Bauch. Es stimmte mich traurig, dass heute alles so lustig sein sollte und ich schon morgen vereinsamt in unserem kleinen Städtchen herumhängen würde, ohne zu wissen, wohin mit mir und meiner Langeweile.
»Was ist denn los?« Lucas Finger krabbelten verspielt über meinen Rücken.
Ich drehte mich um und seine Hand zuckte wie unter einem Stromschlag zurück. »Nichts. Bin nur nicht in Stimmung.«
»Hast du deine Tage?« Jade sah mich mitleidig an.
»Nein, aber es gibt Leute, die eine ziemlich coole Zeit vor sich haben, und eben andere Leute wie mich, die in diesem Kaff versauern müssen.«
»Wir können gerne tauschen«,
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