Kuessen kann schon mal passieren
Holzfällerhemd von Onkel Paul in der Küche, und obwohl ich schon pappsatt war, nahm ich mir noch ein groÃes Stück Apfelkuchen. Mampfend dachte ich, dass sich das alles hier wie ein kleines Stück vom Paradies anfühlte. Auch ohne Jade. Ohne Luca. Ohne Mama und Sushi. Und ohne super Ferienreise. Onkel Paul und ich hörten eine Cello-Sonate von Boccherini, quatschen über dies und das, und um das Glück perfekt zu machen, kam auch noch Kater Mops angetrabt. Er sprang auf meinen SchoÃ, wo er erst eine Weile herumtrampelte, bevor er sich hinlegte und wohlig zu schnurren begann.
»Besser?«, fragte Onkel Paul.
»Was besser?«
»Leerer Magen, und dann versetzt dich deine Mutter wegen eines Mannes.«
»Mann?«, ereiferte ich mich. »Jemanden, der Günther heiÃt, nennst du einen Mann? Der Typ hat graue Haare!«
»Hätte ich auch. Theoretisch jedenfalls.« Onkel Paul strich sich schmunzelnd über seine Glatze.
»Ja, okay, aber du heiÃt Paul und nicht Günther und überhaupt ⦠Was will Mama denn mit so einem komischen Typen?«
»Lena«, sagte mein Onkel mit seiner tief gefärbten Stimme, die er sich immer für besondere Lebensweisheiten aufsparte. »Deine Mutter ist noch nicht alt.«
»42.«
»Eben. Noch nicht alt.«
Ich zuckte mit den Achseln. Was alt war und was nicht, schien eine Frage des Standpunktes zu sein. Für Onkel Paul, der die fünfzig schon überschritten hatte, war 42 jung, für mich eben alt. Ich konnte mir nicht mal vorstellen, dass sich Leute in diesem Alter überhaupt noch küssten. Von anderen Dingen ganz zu schweigen.
»Und seit dem Tod deines Vaters â¦Â« Seine Hand schwebte einen Moment über dem Apfelkuchen, dann zuckte sie wieder zurück. »Sie hat dich groÃgezogen und nebenher so viel gearbeitet, wie es eben nur ging. Dafür hat sie allerdings einen hohen Preis gezahlt: Sie war fast immer allein.« Er griff nun doch nach einem Stück und biss genussvoll hinein. »Gönn ihr den SpaÃ. Und wenn der Kerl nun mal Günther heiÃt, heiÃt er eben Günther.«
Natürlich hatte er Recht. Trotzdem war die Vorstellung, dass meine Mutter einen Mann traf, irgendwie komisch.
Onkel Paul schob eine neue CD in den Player, diesmal eine Oper von Vivaldi mit dem klangvollen Titel Orlando Furioso . »Wie siehtâs eigentlich bei dir aus?«, fragte er. »Ich meine, mit der Liebe.«
»Liebe?«, entgegnete ich. »Was soll das sein?«
»Eine tolle Sache â wenn man sie denn erlebt.«
»Nichts für mich«, wehrte ich ab. Ich kraulte Mops zwischen den Ohren. Das war auch Liebe. Und zwar eine ziemlich vollkommene.
»Aber warum nicht? Ich meine, du und Luca â¦Â«
»Luca? Was haben denn immer alle mit Luca?« Meine Stimme überschlug sich fast.
»Er ist ein prima Junge.«
»Finde ich auch. Und weil er so prima ist, sind wir auch richtig prima befreundet.«
»Ach, Lenchen«, seufzte Onkel Paul. »Es ist nur so ⦠Also, es gibt natürlich Ausnahmen, die die Regel bestätigen, aber normalerweise ⦠Zumindest habe ich es so erlebt â¦Â«
»Was?« Ich wurde unruhig, weil er sonst so ein toller Redner war und mit einem Mal so herumstotterte.
Onkel Paul fasste sich und grinste selten dämlich, als er fortfuhr: »Männer und Frauen können nicht miteinander befreundet sein. Mehr hab ich nicht dazu zu sagen.«
»Oh bitte. Nicht du auch noch!«, stöhnte ich.
»Hat Meibrit das auch gemeint?«
»Nein, nicht Mama. Aber Jade.«
»Donnerwetter. Deine Freundin ist ja richtig lebenserfahren.«
Ich zuckte bloà mit den Achseln. Wieso spielten sich eigentlich alle in meinem Umfeld auf, als hätten sie die Weisheit mit Löffeln gefressen? Nur ich war offenbar das Dummchen vom Dienst. Weil ich immer noch davon überzeugt war, dass Luca und ich nicht sexgesteuert waren und eines Tages zwangsläufig übereinander herfallen würden. Den Kuss mal ausgenommen, aber der war ja mehr aus Versehen passiert.
Onkel Paul lieà das Thema fallen, doch als er mich später auf dem Rad nach Hause begleitete, erzählte er von Elisabeth. Sie waren sich an der Uni in Münster begegnet, damals, als er ein paar Semester Psychologie studiert hatte. Elisabeth war einfach nur Elisabeth für ihn gewesen. Nicht unattraktiv, aber in seinen Augen ein
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