Küssen will gelernt sein: Roman (German Edition)
sie allein waren.
»Wirklich?« Delaney hob das Bier an die Lippen und trank einen Schluck. »Wo denn?«
»In Ihrem kleinen gelben Auto.« Sein Lächeln zeigte seine sehr weißen, leicht schiefen Zähne. »Sie sind nicht zu übersehen.«
»Mein Wagen erregt wohl Aufsehen.«
»Nicht Ihr Wagen. Sie. Sie sind nicht zu übersehen.«
Delaney hatte sich in den einfachen T-Shirts und Shorts, die sie in letzter Zeit getragen hatte, so unsichtbar gefühlt, dass sie erstaunt auf sich deutete und fragte: »Ich?«
»Erzählen Sie mir nicht, dass Sie zu den Frauen gehören, die gern so tun, als wüssten sie nicht, dass sie schön sind.«
Schön? Nein, Delaney wusste, dass sie nicht schön war. Sie war attraktiv und konnte sich verdammt hübsch aufbrezeln. Aber wenn Steve ihr unbedingt sagen wollte, dass sie schön war, würde sie ihn nicht davon abhalten. Denn gekünstelt oder nicht, er war nicht zu verachten. Sie hatte so viel Zeit mit Duke und Dolores verbracht, dass sie, wenn sie nicht aufpasste, unter solchen Komplimenten dahinschmelzen würde.
»Wie alt sind Sie?«, fragte sie ihn.
»Zweiundzwanzig.«
Sieben Jahre Unterschied. Mit zweiundzwanzig hatte Delaney herumexperimentiert. Sie hatte die Sau rausgelassen wie ein Sträfling auf Hafturlaub – einem fünfjährigen Hafturlaub. Zwischen neunzehn und vierundzwanzig hatte sie nach dem Motto »No risk, no fun« gelebt und die Freiheit in vollen Zügen genossen. Sie hatte viel Spaß gehabt, war aber froh, inzwischen älter und reifer zu sein.
Sie schaute zu den halbwüchsigen Mädchen am Strand, die aufgeregt winkend zum Wasser rannten. So viel älter als Steve war sie nun auch wieder nicht, und auf eine Beziehung war sie auch nicht aus. Nachdenklich hob Delaney die Flasche wieder an die Lippen und trank einen Schluck. Vielleicht könnte sie ihn nur für den Sommer benutzen. Benutzen und dann abservieren. Schließlich war sie auch schon von Männern benutzt und abserviert worden. Warum konnte sie mit ihnen nicht genauso umspringen? Wo war der Unterschied?
»Onkel Nick ist wieder da«, rief Sophie zu Louie hinauf, der von Freunden umringt war.
Delaney hielt den Atem an. Ihr Blick schoss zu dem Motorboot, das langsam auf das Dock zutuckerte, und weiter zu dem Mann, der breitbeinig hinter dem Steuerrad des Bayliner stand, während ihm das dunkle Haar um die Schultern flatterte. Der Schatten der hochgewachsenen Kiefer fiel übers Wasser und tauchte ihn und seine drei weiblichen Passagiere ins Dunkel. Sophie rannte zum Dock hinab, ihre Freundinnen im Schlepptau, deren aufgeregtes Geplapper den Lärm des Außenbootmotors übertönte. Mit der Brise wehte Nicks Lachen zu Delaney hinauf. Sie stellte ihr Bier auf dem Geländer ab und drehte sich suchend nach Lisa um, die ein schuldbewusstes Gesicht machte.
»Entschuldigen Sie mich, Steve«, murmelte sie und marschierte entrüstet auf ihre Freundin zu.
»Sei nicht sauer«, flüsterte Lisa.
»Du hättest es mir sagen müssen.«
»Wärst du dann gekommen?«
»Nein.«
»Dann bin ich froh, dass ich gelogen habe.«
»Warum? Damit ich herkommen und gleich wieder abhauen kann?«
»Stell dich nicht so an. Du musst deine feindselige Einstellung Nick gegenüber überwinden.«
Delaney schaute ihrer Jugendfreundin in die Augen und war um Fassung bemüht. Sie rief sich ins Gedächtnis, dass Lisa weder über Henrys Testament noch über jene Nacht vor zehn Jahren Bescheid wusste, als Nick sie so schäbig benutzt hatte. »Ich weiß, dass er demnächst dein Schwager wird, aber es gibt sehr gute Gründe für mich, ihm gegenüber ›feindselig‹ eingestellt zu sein.«
»Louie hat es mir erzählt.«
Sofort schossen Delaney unzählige schreckliche Fragen durch den Kopf. Sie fragte sich, wer was wusste, was sie wussten und wer was zu wem gesagt hatte. »Was hat er dir erzählt?«
»Er hat mir vom Testament erzählt.«
Delaney warf einen verunsicherten Blick zu Louie, der auf den See hinausschaute. Ihr wäre lieber gewesen, wenn niemand von dem Testament erfahren hätte, doch das war nicht ihre Hauptsorge. Sie konnte nur hoffen, dass ihre größte Schande immer noch sicher in der Vergangenheit begraben lag. »Wie lange weißt du schon Bescheid?«
»Etwa einen Monat, aber ich wünschte, ich hätte es von dir erfahren. Ich wollte dich nämlich bitten, aktiv an meiner Hochzeit teilzunehmen, aber so lange damit warten, bis du mir sagst, dass du dann noch hier bist. Die Ahnungslose zu spielen, ist mir echt schwergefallen, aber jetzt
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