Küssen will gelernt sein: Roman (German Edition)
»Vielleicht ist es Zeit für etwas Neues«, schlug sie vor und zog sich Gummihandschuhe über.
»Nein. Ich bleibe gern bei Altbewährtem.«
Delaney schnipste die Spitze der Plastikflasche ab, trug die Wellflüssigkeit auf der rechten Kopfseite der Frau auf und machte sich daran, mithilfe ihrer Finger und eines Kamms Wellen zu formen. Sie brauchte diverse Versuche, um die Ansatzwelle perfekt hinzukriegen, sodass sie mit der zweiten und dritten weitermachen konnte. Während sie arbeitete, quasselte Wanetta ohne Ende.
»Meine gute Freundin Dortha Miles lebt in einem dieser Seniorendörfer in Boise. Es gefällt ihr dort bestens. Das Essen ist gut, meint sie. Ich hab mir auch schon überlegt, in so ein Dorf zu ziehen. Seit mein Mann Leroy letztes Jahr verstorben ist.« Sie verstummte, zog ihre knöchrige Hand unter dem Umhang hervor und kratzte sich an der Nase.
»Wie ist Ihr Mann denn gestorben?«, erkundigte sich Delaney höflich, während sie mit ihrem Kamm eine Welle formte.
»Ist vom Dach gestürzt und auf den Kopf gefallen. Ich weiß
nicht, wie oft ich dem alten Narren gesagt hab, er soll da nicht hochklettern. Aber er hat nicht auf mich gehört, und sehen Sie, was dabei rausgekommen ist. Er musste ja unbedingt da hochsteigen und an der Fernsehantenne rumfummeln, so überzeugt war er, Channel Two reinzukriegen. Und jetzt bin ich ganz allein, und wenn da nicht mein nichtsnutziger Enkel wäre, Ronnie, der es bei keiner Firma lange aushält und sich ständig Geld von mir leiht, könnte ich es mir vielleicht sogar leisten, mit Dortha in eins dieser Seniorendörfer zu ziehen. Aber im Grunde bin ich mir gar nicht so sicher, ob ich das überhaupt will, weil ihre Tochter eine« – sie verstummte und senkte verschwörerisch die Stimme – »Lesbe ist. Ich glaube nämlich, so was ist erblich bedingt. Ich will damit nicht sagen, dass Dortha eine« – wieder verstummte sie und flüsterte das nächste Wort – »Lesbe ist, aber sie hatte schon immer eine Vorliebe für ratzekurze Haare und trug schon bequeme Schuhe, bevor sie Senkfüße kriegte. Und ich würde nur ungern mit jemandem zusammenwohnen und dann so was feststellen. Da müsste ich ja Angst haben zu duschen oder dass sie splitternackt durch die Wohnung läuft. Vielleicht würde sie sogar versuchen, mich nackt zu sehen.«
Das Bild, das Delaney durch den Kopf schoss, war beängstigend, und sie musste sich auf die Innenseite der Wangen beißen, um nicht loszulachen. Das Gespräch kam von Wanettas Angst vor nackten Lesbierinnen auf andere beunruhigende Vorkommnisse in ihrem Leben. »Nachdem letztes Jahr dieses Haus in der Nähe vom Cow Creek ausgeraubt worden ist«, klagte sie, »musste ich meine Türen verriegeln. Vorher musste ich das nie. Aber ich lebe jetzt allein, und da kann man wohl nicht vorsichtig genug sein. Sind Sie verheiratet?«, fragte sie unvermittelt und musterte Delaney prüfend in der Spiegelwand vor ihr.
Delaney hing die Frage langsam zum Hals heraus. »Ich hab den Richtigen noch nicht gefunden.«
»Ich habe einen Enkel, Ronnie.«
»Nein, danke.«
»Hm. Leben Sie allein?«
»Ja«, antwortete Delaney, während sie die letzten Wellen legte. »Ich wohne direkt hier drüber.«
»Da oben?« Wanetta deutete zur Zimmerdecke.
»Ja.«
»Wie kommt das, wo Ihre Mama doch so ein schönes Haus hat?«
Es gab eine Million Gründe. Seit ihrem Auszug hatte sie kaum ein Wort mit ihrer Mutter gewechselt, und sie konnte nicht behaupten, dass ihr das besonders viel ausmachte. »Ich lebe gern allein«, antwortete sie ausweichend und formte noch eine Reihe winziger Löckchen auf der Stirn der Greisin.
»Tja, nehmen Sie sich bloß vor den verrückten Allegrezza-Baskenjungs nebenan in Acht. Ich bin mal mit einem Schafhirten ausgegangen. Die haben mächtig seltsame Angewohnheiten.«
Wieder biss sich Delaney auf die Wange. Vor der Eröffnung des Ladens hatte sie Angst gehabt, Nick oft über den Weg zu laufen, doch obwohl sie seinen Jeep schon auf ihrem gemeinsamen Parkplatz hinter den zwei Gebäuden gesehen hatte und ihre Hintertüren nur wenige Meter voneinander entfernt waren, hatte sie ihn selbst noch nicht zu sehen bekommen. Doch Lisa hatte Louie in letzter Zeit auch nicht viel gesehen. »Allegrezza-Bau« machte Überstunden, um noch vor dem ersten Schnee mehrere große Aufträge fertigzustellen, der hier manchmal schon Anfang November fiel.
Als Delaney fertig war, war Mrs Van Damme immer noch alt und runzlig und sah überhaupt nicht aus wie Mae
Weitere Kostenlose Bücher