Küstenfilz
Obwohl – die
Dornen hätten gut zu Ihnen gepasst.«
Ihre Aufmerksamkeit wurde auf den Kommissar gelenkt,
der mit seinem Handy am Ohr auf sie zusteuerte. Er schien den Rüffel, den er
sich soeben eingefangen hatte, entweder verdaut zu haben, oder er war eine
solche Ansprache durch seine Vorgesetzte gewohnt.
»Die Kollegen haben das Fluchtfahrzeug gefunden«,
strahlte er, als hätte er diese Entdeckung selbst gemacht.
»Wo?«
Er zögerte einen Moment und lauschte dabei weiter in
sein Handy, bevor er antwortete: »Auf einem Parkplatz neben der
Shell-Tankstelle beim Schloss Gottorf.«
»Ich sehe es mir an«, entschied die Hauptkommissarin
und gab ihrem Mitarbeiter noch die Anweisungen: »Sorgen Sie dafür, dass
Jürgensen mit der Spurensicherung dorthin kommt. Und dann kommen sie mit Boysen
nach. Ich will, dass Sie die Umgebung durchforsten und fragen, ob jemand etwas
beobachtet hat.«
Der junge Kommissar nickte stumm.
Frauke Dobermann wandte sich um, und als Lüder
unschlüssig stehen blieb, raunzte sie ihn an: »Nun kommen Sie schon. Es spart
dem Innenminister Spritkosten, wenn Sie nicht ständig mit dem eigenen Wagen
hinter mir herdackeln.«
»Wie sollte ein Dackel einem Dobermann gewachsen
sein«, erwiderte Lüder und stieg in ihren Dienstwagen ein.
Die Stelle, an der der oder die Täter das Fahrzeug
gewechselt hatten, war gut gewählt. Es war ein Parkplatz an der Ausfallstraße,
auf der reger, aber nicht zu lebhafter Verkehr herrschte. Im Hintergrund lag
auf der Schlossinsel Gottorf mit den zwei Landesmuseen. Sammlungshöhepunkte
waren zweifellos Werke von Lucas Cranach, den drei norddeutschen
Expressionisten und eine alte Gutenberg-Bibel.
Gegenüber glänzte das stille Wasser der Schlei, deren
Oberfläche wie leicht zerknittertes Stanniolpapier schimmerte und das Licht der
Maisonne reflektierte. Am Anleger dümpelte der Ausflugsdampfer »Wappen von
Schleswig« still vor sich hin. Stumm und majestätisch grüßte von fern der Turm
des Doms. Zur Stadtseite hin begrenzte eine Tankstelle das Areal. Am Ende des
Parkplatzes stand eine mobile Fischbude.
Die beiden Beamten umkreisten vorsichtig das Fahrzeug,
ohne es zu berühren. Bis auf einen verschmierten Händeabdruck auf der Scheibe
der Beifahrertür, der eindeutig von einem kleinen Kind stammte, war nichts zu
entdecken. Lüder schritt auch die nächste Umgebung ab. Aber die Entführer, wenn
es mehrere waren, hatten Sorgfalt walten lassen. Mit bloßem Auge war nichts zu
entdecken, nicht einmal eine achtlos weggeworfene Zigarettenkippe.
So etwas kommt immer nur in Kriminalfilmen vor, dachte
Lüder. Da raucht der Böse unentwegt, um seine Nervosität zu verbergen, während
er mit dem zweiten Wagen auf seinen Komplizen und die Entführungsopfer wartet.
Es dauerte nicht lange, bis die angeforderte
Verstärkung eintraf.
»Teilst du meine Einschätzung«, fragte Lüder Klaus
Jürgensen von der Spurensicherung, »dass wir den Golf zur KTU nach Kiel schaffen sollten? Dort haben
die Kollegen mehr Zeit und Raum als ihr hier am Straßenrand.«
Jürgensen räusperte sich. Als er merkte, dass dies
nicht ausreichte, hustete er sich die Stimme frei. Dann kratzte er sich an
seinem fast kahlen Hinterkopf.
»Ich bin mir sicher, dass wir auch jede Menge finden
würden. Aber vielleicht hast du recht.«
Lüder rief daraufhin seine Dienststelle an, um die
Abholung des Wagens zu veranlassen.
Noch während er telefonierte, kam Frauke Dobermanns
Mitarbeiter von der Tankstelle zurück.
»Fehlanzeige«, erklärte er achselzuckend. »Dort hat
niemand etwas bemerkt. Und auch beim Fischstand ist niemandem etwas
aufgefallen.«
»Haben Sie sich die Namen von Tankkunden geben lassen,
die in der letzten Stunde dort waren?«
Verdutzt sah der junge Mann seine Chefin an.
»Mensch, Kerlemann«, fuhr die Hauptkommissarin aus
ihrer Haut. »Es kann doch sein, dass jemand etwas beobachtet hat, ohne sich
dabei etwas zu denken. Los, ran an die Buletten. Klappern Sie alle Leute ab,
die in der fraglichen Zeit auch nur in die Nähe der Tankstelle gekommen sind.«
»Jawohl«, stammelte der Kommissar und zog betroffen
von dannen.
»Und Sie?«, wandte sie sich an Lüder. »Reicht Ihnen
das als Anschauung, wie effizient wir vom K1 aus Flensburg arbeiten? Dann kann
ich Sie zu Ihrem Auto bringen, damit Sie wieder an Ihren Kieler Schreibtisch
entschwinden und darüber nachdenken können, dass die Arbeit in einem
klimatisierten Büro weniger anstrengend und nahezu ungefährlich ist. Es sei
denn,
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