Küstenfilz
hielt sich aber ein wenig im
Hintergrund. Er trug kein Plakat und beteiligte sich auch nicht am Sprechgesang
seiner Mitprotestierer.
Der Zug verlangsamte
sein Tempo und bog auf den Capitolplatz ab, eine kleine Anlage mit rotem
Betonpflaster, ein paar Sitzgelegenheiten, etwas Grün und einem Straßencafé im
Hintergrund.
Die Demonstranten
bildeten einen Halbkreis. Neugierig blieben ein paar weitere Passanten stehen,
während andere den Kopf schüttelten und weitergingen.
»Die sollen lieber
arbeiten«, hörte Lüder einen älteren Mann sagen, der sich aber die Argumente
der Demonstranten nicht anhören wollte.
Einer der
Greenpeaceleute hatte ein Megafon in die Hand genommen und versuchte, seine
»lieben Mitbürger« über die Gefahren der Atomkraft aufzuklären. Er erinnerte an
die leidvollen Erfahrungen mit Tschernobyl, die Störfälle in Schweden,
Sellafield und Three Mile Island und stellte die Frage, welche Ereignisse von
den Betreibern erfolgreich vertuscht wurden. »Das macht doch nichts, das merkt
doch keiner«, hatte einst der Satiriker Hans Scheibner gesungen, als aus dem
Kernkraftwerk »ein kleines bisschen Oho entwich«.
Lüder wechselte die
Straßenseite und ging unter den Arkaden der Nordostsee-Sparkasse langsam zum
Parkhaus zurück.
Dr. Buurhoves
Mercedes stand immer noch dort.
Lüder fuhr zum
Reihenhaus der Familie Joost. Es gab immer noch keinen Hinweis, welche
Forderungen die Entführer stellten. Vielleicht hatte er mehr Glück als die
geballte Polizeimacht und konnte das Gespräch mit den Eltern finden.
Er stellte seinen
Wagen in einer Querstraße ab, nachdem er festgestellt hatte, dass vor dem Haus
der Eltern Ruhe herrschte. Weit und breit war kein verdächtigtes Fahrzeug zu
sehen, das auf Polizei oder die Presse hätte schließen lassen. Auch Passanten
waren in dieser ruhigen Gegend nicht unterwegs.
Lüder klingelte. Es
dauerte eine Weile, bis geöffnet wurde. Joachim Joost sah Lüder fragend an.
»Ja?« Die Stimme des Vaters klang heiser. Der Mann sah übernächtigt aus.
»Lüders. Ich bin
nicht nur vom Landeskriminalamt, sondern auch Vater von vier Kindern«, machte
Lüder Margits Kinder zu seinen eigenen. »Ich würde gern außerhalb des
offiziellen Weges mit Ihnen sprechen.«
Joachim Joost sah
Lüder einen Moment unschlüssig an. Es schien, als wollte er die Tür ganz
öffnen. Dann besann er sich doch. An Lüder vorbei warf er einen raschen Blick
auf die Straße und suchte die Umgebung ab.
»Gehen Sie. Wir
wollen keine Polizei. Machen Sie, dass Sie davonkommen. Ich will Sie hier nicht
wieder sehen«, sagte er hastig und schloss hektisch die Tür, ohne Lüders
Antwort abzuwarten.
Selten war Lüder
einem Menschen begegnet, dem die Angst so offenkundig ins Gesicht geschrieben
stand.
Nachdenklich machte
er sich auf den Heimweg nach Kiel.
»Hektor«, das Hoch,
das noch das Wetter über Schleswig-Holstein bestimmte, hatte viele Autofahrer
auf die Straße gelockt. So dauerte es etwas länger, bis der ungeduldig werdende
Lüder vor der Uniklinik in Kiel vorfuhr. Er wollte sich nach dem Zustand von
Bärbel Rasmussen erkundigen. Vielleicht konnte er mit ein wenig Glück selbst
mit der Frau sprechen.
»Auf keinen Fall«,
antwortete ihm eine energisch auftretende Krankenschwester mit asiatischem
Einschlag. Die zierliche junge Frau ragte ihm nicht einmal bis zur Schulter.
Ihre grazile Gestalt kompensierte sie aber durch ihr unmissverständlich
konsequentes Auftreten.
»Ist der Ehemann bei
der Patientin?«, fragte Lüder.
Die Krankenschwester
nickte mit dem Kopf in Richtung Fahrstuhl. »Der ist vor zwei Minuten gegangen.
Eigentlich hätten Sie ihn treffen müssen.«
»Danke«, antwortete
Lüder und drehte sich um. Er würde mit Holger Rasmussen vorliebnehmen müssen.
Es dauerte ewig, bis sich der große Fahrstuhl ins Erdgeschoss gekämpft hatte.
Zwei Patienten, einer mit einer Gehhilfe und der zweite am Stock, brauchten
unendlich viel Zeit, um den Fahrstuhl zu verlassen und den Weg für die anderen
Mitfahrer freizugeben.
Rasmussen war weder
in der Eingangshalle noch auf dem Vorplatz zu entdecken. Lüder eilte zu den
Parkplätzen. Schon von Weitem sah er den Kommunalpolitiker, der sich in den
Kofferraum eines Porsche Cayenne beugte. Aus einem unerfindlichen Grund zögerte
Lüder.
Nach einer Weile
tauchte Rasmussen aus dem Wageninneren auf und schlug die Heckklappe zu. Es
musste sich um dessen eigenes Fahrzeug handeln, stellte Lüder fest, als er auf
dem Kennzeichen die
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