Küstengold: Kriminalroman (German Edition)
gegangen, aber Freunde hatten ihm wegen der schlechten
Aufstiegsmöglichkeiten abgeraten. Kommissar Hansen war schon in Ordnung, und wenn
er mit seinen dienstlichen Mitteln nicht weiterkam, rief er Stuhr gern einmal an.
So konnte Stuhr jetzt als Frühpensionär ermitteln, ohne jemals bei der Polizei gewesen
zu sein.
Als ehemaliger
Beamter der Staatskanzlei hatte Stuhr immer noch viele Kontakte in den verschiedenen
Ministerien und konnte dienstprivat schon noch das eine oder andere herausbekommen.
Sein alter Dienstausweis, der bis zu seinem 65. Lebensjahr gültig sein würde, wurde
ihm nie abverlangt und leistete nach wie vor treue Dienste.
Das Rendsburger
Ortsschild flog an ihm vorbei, und schnell erreichte er über den Stadtring und die
Kreisverwaltung die Alte Kieler Landstraße. Wenig später tauchten in den Nebelschwaden
die filigranen Bögen der alten Eisenbahnbrücke auf, die sich über die Kreisstadt
in luftige Höhen hochschraubt und den Nord-Ostsee-Kanal Richtung Kiel überquert.
Jetzt entdeckte er auch den Wegweiser zur Schwebefähre, einer Hängebahn, die unterhalb
der Stahlbrücke montiert war. Stuhr bremste seinen Wagen ab und bog zum Kreishafengelände
ein. Wenig später hielt er unterhalb der Eisenbahnbrücke vor einer Schranke, hinter
der sich im Wasser des Kanals die Lichter der Laternen auf der gegenüberliegenden
Seite spiegelten.
Aus dem Morgengrauen glitt die an
vielen Seilen hängende Schwebefähre heran, deren tiefliegender Bug sich unter der
Fahrbahn einklinkte. Die Schranke öffnete sich, und Stuhr konnte auffahren. Die
Fähre bot Platz für vier Fahrzeuge, aber da er der einzige Fahrgast war, zeigte
der Kapitän im Führerstand Gnade und schloss die Schranken wieder.
Stuhr genoss
den kühlen Morgenwind, als er in wenigen Metern Höhe mitsamt der Fähre durch die
Nebelschwaden über den Kanal schwebte. Nach wenigen Minuten legte die Fähre auf
der anderen Seite in Osterrönfeld an, und er konnte seine Fahrt fortsetzen.
Keinen halben Kilometer weiter konnte
Stuhr mehrere Scheinwerfer ausmachen, deren grelles Licht ihn zunehmend blendete.
Die davor parkenden Fahrzeuge warfen ihm lange Schatten entgegen. Der Kommissar
hatte recht gehabt, das war wirklich einfach zu finden.
Stuhr fuhr
auf einem kleinen Wirtschaftsweg direkt zum Licht hin. Die wenigen Personen, die
bei den Polizeifahrzeugen hantierten, wirkten gespenstisch im aufsteigenden Nebel
der Morgendämmerung.
Stuhr stoppte
und zwängte sich aus dem Golf.
Kommissar Hansen eilte auf ihn zu.
»Moin, Stuhr. Du hast dir ja schon wieder so eine alte Rostlaube zugelegt.«
Stuhr reichte
ihm die Hand. »Moin, Hansen. Golf II, da kenne ich jede Kerbe im Lenkrad.«
Der Kommissar
verzog die Nase. »Mein Gott, hast du eine Fahne.«
Stuhr unternahm
Anstalten, sich umzudrehen. »Tut mir leid, gestern einen Kleinen gehabt. Ich kann
ja auch umkehren und nach Sankt Peter zurückfahren.«
Hansen Stimme
klang streng. »Dann muss ich dir leider von Amts wegen den Lappen abnehmen. Besser,
du bleibst.«
Stuhr wollte
protestieren, aber im gleichen Augenblick nahm ihn Hansen am Arm und führte ihn
fort. »Prima, Stuhr, dass du gleich herkommen konntest. Ich möchte dir etwas zeigen,
komm mal mit.«
Der Kommissar
führte ihn zu einem im Dunkeln liegenden Windrad, dessen langsam laufende Rotoren
gleichmäßige rhythmische Geräusche verursachten, die dem Fallen des Beiles einer
Guillotine nicht unähnlich klangen. Er wies auf eine auf dem Boden liegende Plane,
die einen Körper abdeckte.
»Ich möchte
dir den Anblick ersparen, denn einen Körper ohne Kopf vergisst man nicht so leicht.«
Nun zeigte
der Kommissar mit dem Zeigefinger auf einen Hubwagen direkt unter dem Windrad, der
ungleichmäßig mit Blutspritzern überzogen war. »Wie mit einer Keule weggeschlagen.
Irgendjemand muss das geknebelte Opfer an die Hubkanzel gebunden und langsam zu
den Rotoren des Windrades hochgefahren haben. Der Kopf ist ein ganzes Stück durch
die Luft gesegelt und dann den Hang zum Kanal heruntergerollt. Dort ist er von den
Schafen sauber geleckt worden. Der Knebel steckt immer noch im Kiefer.«
Unbestritten
ein hässlicher Tod, aber es wird zumindest schnell gegangen sein. Stuhr musste würgen.
Er wurde
nachdenklich. Gab es einen schönen Tod? Stuhr beschloss, irgendwann einmal mehr
über diese letzten Dinge des Lebens nachzudenken, wenn er dazu jemals Zeit finden
sollte. »Habt ihr schon eine erste Vermutung?«
»Deswegen
habe ich dich aus dem Bett
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