Küstengold: Kriminalroman (German Edition)
der freien Nordsee gewährte.
Stuhr hatte sich auf den Holzplanken
vor dem Windsurfshop einen der in Pastelltönen gestrichenen herumstehenden Barhocker
geschnappt und ihn in die schattige Bootshalle gestellt. Er liebte es, aus dieser
erhöhten abgedunkelten Position das Strandtreiben zu verfolgen. Zum Zeichen der
Besitzergreifung legte er die Zeitung mit dem darin verborgenen Buch auf den Hocker
und begab sich zur Bar im Surfshop, um einen Milchkaffee zu ordern.
Der wurde
ungewöhnlich schnell vor ihm auf dem Tresen platziert. »Der geht auf unser Haus.
Mehr Werbung für SPO geht ja kaum. Welcome und Cheers.«
Verdutzt
nahm Stuhr den Milchkaffee entgegen. SPO war die trendige Abkürzung für St. Peter-Ording.
Während er sich bemühte, vorsichtig das Heißgetränk zu seinem Hocker auf der Terrasse
zu balancieren, wurde ihm immer wieder auf die Schulter geklopft. Das war verwunderlich,
weil er hier kaum bekannt war. Zur Windsurfstation zog es ihn nur, wenn es richtig
heiß war und er abtauchen musste.
Nachdenklich
schlürfte er seinen Milchkaffee und beobachtete interessiert das gelangweilte Abhängen
der Möwen auf der spiegelglatten Nordsee. Ab und zu verschaffte sich Stuhr ein wenig
Abkühlung, indem er ein kühlendes Bad nahm.
Mittags
hielt es Stuhr nicht mehr aus. Zeit für einen Konterdrink, befand er und schälte
sich vom Barhocker, um ein eiskaltes Bier aus der Bar zu holen. Dort buchte er auch
einen Strandkorb, den er gegen die Sonne drehte, bevor er sich genüsslich niederließ.
Die Nordseeluft
tat seinem Schädel gut, das Bier auch. Vorsichtig zog er das Frauenbuch aus der
Zeitung und begann, den Klappentest zu lesen. ›Powerfrau Bea stellt sich die Frage
aller Fragen: Soll das mit 50 alles gewesen sein? Völlig zu Recht fragt sie sich,
wo die Romantik in ihren Beziehungen geblieben war.‹
Romantik?
Das kam unerwartet und klang kompliziert für Stuhr. Hatten Jenny und er eigentlich
romantische Momente gehabt? Außer im Bett natürlich?
Während
er darüber grübelte, schielte er zur Sonntagszeitung. Er könnte den Sportteil lesen.
Oder diese Reportage über Sankt Peter. Jäh wurde er in seinen Gedankenspielen unterbrochen.
»Moin, Stuhr.
Schön heiß heute, was?«
Stuhr musste
nicht einmal hochblicken, denn er erkannte Oberamtsrat Dreesens dröge Stimme sofort.
Er grüßte zurück. »Moin, Dreesen. Was machst du denn an der Westküste? Kleine Dienstfahrt
in die Marsch?«
Nur zögerlich
und unsicher antwortete sein ehemaliger Mitarbeiter. »Nö, sonntags eher nicht. Ein
bisschen die Füße vertreten und abschalten. Mal herauskommen aus dem Alltagstrott,
du verstehst?«
Stuhr verstand
nicht, aber er hatte eine böse Ahnung. Bevor er Dreesen in die Augen blicken konnte,
fegte Jenny Muschelfang um die Ecke und ohrfeigte ihn links und rechts mit ihrem
Exemplar der Sonntagszeitung.
»Du Ferkel,
du lernst aber auch nichts aus deinen Fehlern. Und dann noch mit Schneider, diesem
Betrüger.«
Dreesen
versuchte, sie von weiteren Schlägen mit der Zeitung abzuhalten. »Aber Jeanette,
nun regen Sie sich bitte nicht so auf. Kommen Sie, wir gehen weiter. Der Kollege
Stuhr hat doch nicht nur schlechte Seiten.«
Das ›Sie‹
nahm Stuhr mit Befriedigung zur Kenntnis. Anscheinend war Dreesen bei ihr noch keinen
Fingerbreit weitergekommen.
Aber jetzt
wurde Jenny zur Furie. Wütend blaffte sie Dreesen mit einem Fingerzeig auf Stuhrs
Sonnenbrand an. »Nicht nur schlechte Seiten? Der hat doch noch einen hochroten Kopf
vom letzten Saufgelage und trinkt schon wieder Bier um Bier in der Mittagssonne!«
Sie holte
nur kurz Luft, denn sie hatte den hellblauen Frauenroman entdeckt. Jetzt kam Jenny
richtig in Fahrt. »Warte nur ab, mein Freundchen, bis dein Flittchen ihre Lektüre
durchgelesen hat. Dann wirst du dein blaues Wunder erleben. Wo treibt sich das Luder
überhaupt herum? Ist es die aus der Sonntagszeitung? Du Schuft!«
Wieder schlug
sie Stuhr die Sonntagszeitung mehrfach um die Ohren. Glücklicherweise zog Dreesen
Jenny behutsam aus seinem Gesichtsfeld.
Stuhr wurde
mulmig. Welches Luder meinte sie nur? Er war sich keiner Schuld bewusst.
Kurze Zeit
später kehrte Dreesen alleine zurück. »Tut mir leid, Stuhr. Das wollte ich nicht.
Jeanette und ich hauen jetzt besser ab. Kann ich etwas für dich tun?«
Die Schläge
von Jenny hatten Stuhr nicht wehgetan, nur ihre unbändige Wut. Aber sicher, Dreesen
könnte etwas für ihn tun. »Sag mal, wer ist aktuell im Wirtschaftsministerium zuständig
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