Kullmann
ihn, bevor sie die Stallgasse verließ.
Nun wollte sie Robert gegenübertreten, wollte ganz sie selbst sein. Dass das nicht leicht werden würde, spürte sie schon, als sie den Weg zu den Koppeln antrat, weil sie glaubte, Robert dort zu finden.
Vier große Koppeln lagen im hinteren Bereich des Stalls direkt am Waldrand. Die Entfernung vom Stall war so groß, dass man sich dort unbemerkt aufhalten konnte.
Robert saß im Sonnenschein auf einem abgesägten Baumstamm und schaute seinem Wallach beim Grasen zu. Anke blieb vor ihm stehen. Er war so sehr in seine Gedanken vertieft, dass er Anke erst nach einer Weile bemerkte.
Roberts Gesicht sah lädiert aus. Ein dunkelblauer Streifen umrandete sein rechtes Auge, Hämatome in allen Farben verunstalteten sein Gesicht, die Unterlippe wölbte sich unförmig an den Nahtstellen; den fehlenden Zahn hatte man durch einen Zahnersatz ausgeglichen.
»Ich habe gute Neuigkeiten«, begann Anke.
Das angeschlagene Gesicht tat Roberts faszinierendem Aussehen keinen Abbruch. Seine sportliche Figur in den engen Jeans mit dem kurzärmeligen Hemd, seine muskulösen und braun gebrannten Arme ließen in Anke den Wunsch aufkeimen, umarmt zu werden, sich anlehnen zu können und sich ihm hinzugeben. Seine blonden Haare schimmerten noch heller in der warmen Sonne, das Blau seiner Augen leuchtete noch stärker als sonst.
Mit diesen Augen schaute er sie fragend an; unwillkürlich musste Anke wieder daran denken, wie er das erste Mal vor ihr gestanden hatte. Sofort hatte sie sich in diese Augen verliebt und spürte, dass seitdem dieses Gefühl immer stärker, intensiver und leidenschaftlicher geworden war.
Jetzt stand sie wie angewurzelt vor ihm. Sie brachte keines der Worte heraus, die sie sich vorbereitet hatte. Es versetzte ihr einen dumpfen Schlag in den Magen, weil Robert sich nicht bewegte; er saß da wie eine Statue, stumm und mit starren Augen. Er kam ihr vor wie ein Fremder, trotz der Nähe meilenweit entfernt. Ihre Hoffnung schwand.
»Der mutmaßliche Polizistenmörder ist gefasst. Ich habe doch von Anfang an gesagt, dass Kullmann den Richtigen finden wird«, startete sie einen verzweifelten Anfang.
Robert blieb unbeweglich sitzen.
»Ist das nicht wunderbar? Du bist aus der Schusslinie. Nichts steht mehr zwischen uns«, kämpfte sie mit Worten. Was hatte sie sich vor wenigen Minuten noch geschworen: einfach sie selbst sein, ehrlich und ungekünstelt. Dass es so schwer sein würde, hätte sie nicht erwartet. Sie fühlte sich wie vor einer Wand. Er hatte sie weder begrüßt, noch beachtet; er kapselte sich ab. Trotz ihrer wachsenden Unsicherheit wollte sie nicht aufgeben. Zu viel stand auf dem Spiel.
»Ich liebe dich. Ich habe mich nach dir gesehnt!« Nun hatte sie die Wahrheit offen und unverblümt ausgesprochen, wie sie es sich vorgenommen hatte. Obwohl sie immer noch die Ungewissheit zwischen ihr und Robert spürte, war sie froh, alles gesagt zu haben, was ihr auf dem Herzen lag.
Robert änderte seine Haltung nicht, der Boden begann unter ihren Füßen zu schwinden.
Anke spürte einen Schmerz, der sie fast zerriss. Das Band war zerrissen. Er schaute sie aus kalten Augen an, als habe er den Stab endgültig gebrochen. Die Sekunden des Schweigens kamen ihr vor wie endlose Stunden.
»Warum sagst du nichts?«, hielt sie es einfach nicht mehr aus.
»Weil es kein uns mehr gibt!«
Das hörte sich wie ein endgültiges Urteil an. Das Ende.
Keine Emotion lag in seiner Stimme, keine Unschlüssigkeit, keine Chance, seine Entscheidung zu ändern.
»Es tut mir wirklich Leid«, sprach er weiter. »Wir hätten ein schönes Paar werden können, aber dein Beruf hat dich schon angefressen. Du kannst nicht nach Hause kommen und abschalten. Nein, deine Arbeit hat dich immer im Griff. Sogar dann, wenn wir uns lieben. Dein Beruf hat zwischen uns gestanden und hat deinen Kopf so verwirrt, dass du gar nicht gemerkt hast, wen du vor dir hast. Ich habe dich ehrlich geliebt und wollte mein Leben mit dir teilen. Deine Arbeit hat dir den Blick verstellt. Du kannst nicht mehr unterscheiden, wer es wirklich gut mit dir meint und wer nicht.«
Er sprang von dem Baumstamm auf, stellte sich vor sie und schaute sie eine Weile mit trauriger Miene an.
»Dein Verdacht mir gegenüber hat mich so tief verletzt, dass ich ihn nicht vergessen kann.« Er entfernte sich mit langsamen Schritten. Auf halbem Weg drehte er sich um: »Diese Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen.«
Eine Weile spürte Anke nichts. Sie
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