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Kullmann

Kullmann

Titel: Kullmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Schwab
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Herz auf dem rechten Fleck!«
    Dieses Lob nahm Anke fast den Atem. Schmerzhaft wurde ihr bewusst, dass niemand hier im Stall außer ihr Robert jemals verdächtigt hatte! Sie konnte sich ihre Verirrung nicht verzeihen. Sie erinnerte sich an die Frage des Stallbesitzers, warum sie Robert fallen lasse. Warum hatte sie die Maßstäbe verloren? Die Leute im Stall hatten ihrem Gefühl vertraut. Sie machten ihr keine Vorwürfe, aber durch ihren unerschütterlichen Glauben an Robert wurde sie zum schwarzen Schaf. Die Arbeit an dem Fall hatte sie geblendet und ihren Blick auf die Wirklichkeit verzerrt. Roberts bittere Analyse stimmte. Ob sie jemals die Fessel der berufsbedingten Wahrnehmungsfähigkeit lösen konnte? Diese Falle, die Welt grundsätzlich mit Misstrauen und bösen Vorahnungen zu sehen! Sie flüchtete sich in diese Gedanken, um die offene Wunde nicht zu sehen, die die Trennung ihr geschlagen hatte.
    Jetzt setzte sie zuallererst ihren Entschluss um und ritt mit Rondo in den Wald.
    Der Schritt in die Natur wirkte auf sie wie ein Übergang von einem Zustand voller Schatten und Grausamkeit in eine Welt voller Schönheit, Ordnung und Harmonie. Das erinnerte sie an den Fluss Styx, über den vom Reich der Lebenden in das Reich der Toten übergesetzt wurde, nur mit dem Unterschied, dass sie sich jetzt fühlte, als sei sie aus der Finsternis ins Licht zurückgekehrt.
    Leise rauschte der Wind in den Baumkronen. Sonnenstrahlen bahnten sich vereinzelt ihren Weg durch das dichte Laub und veranstalteten auf dem Reitweg ein bewegtes Spiel aus Licht und Schatten. Vögel zwitscherten in den Bäumen, gelegentlich pochte das Hämmern eines Spechts gegen einen Baumstamm.
    Tief atmete sie die frische Luft ein und hoffte, damit ihren Kummer verdrängen zu können. Ein bleischwerer Brocken drückte in ihrer Brust, ihre Freude am Reiten drohte an dem kalten Krater ihrer Schwermut zu scheitern. Sollte der Rest ihres Lebens nur noch aus ihrer Arbeit bestehen? Sie hatte sich zweimal verliebt, und beide Male hatte sie kein Glück gehabt. Hübner hatte sie betrogen und ihr damit wehgetan. Und Robert! Sie hatte ihn des Mordes verdächtigt. Wie absurd ihr Verhalten wirklich war, stand ihr glasklar vor Augen, jetzt, wo sie die Weiche nicht mehr neu stellen konnte.
    Am liebsten hätte sie die Erinnerung an die letzte Woche aus ihrem Leben gestrichen. Diese krassen Wechselbäder hatten die Grenzen ihrer Belastbarkeit angekratzt. Noch immer spürte sie ihre Unfähigkeit, von diesen Gedanken loszulassen. Da ritt sie durch die schöne Natur und war unfähig, sie zu genießen. Der Himmel leuchtete azurblau, das Grün der Bäume war voll ausgereift, die ersten Anzeichen des Sommers. Aber sie nahm nichts davon wahr.
    Langsam kam sie an den Berg, der über die Eisenbahnschienen des Messebahnhofs führte. Hier hatte das Unglück begonnen, erinnerte sie sich. Hier war Robert festgenommen worden, weil Esche ihn als Polizistenmörder verdächtigt hatte. Hier hatte der Bruch seinen Anfang genommen. Esche hatte einen teuflischen Plan inszeniert. Er hätte es um ein Haar geschafft, Kullmann von Roberts Schuld zu überzeugen.
    Nun stand sie wieder an dieser Stelle. Der Kampf war vorbei. Obwohl sie froh war, dass Roberts Unschuld zweifelsfrei bewiesen worden war, schmerzte sie die Erkenntnis, die Verliererin in diesem falschen Spiel zu sein. Ihr Atem ging stockend, bis sie völlig in Tränen aufgelöst auf dem Pferd saß. Ganz still verhielt sich Rondo unter ihr. Sein Ohrenspiel verriet seine Aufmerksamkeit. Ständig richtete er seine Ohrmuscheln zur Reiterin, um sich eingehender auf sie zu konzentrieren. Ihre veränderte Gemütslage beunruhigte ihn, deshalb drehte er seinen Kopf zur Seite und schaute auf seine Reiterin. Er vergewisserte sich, dass er sich richtig verhielt. Das tat er, weil jede Bewegung von ihm in diesem Augenblick ihren Sturz verursachen könnte. Also blieb er stehen und wartete geduldig.
    Lange brauchte Anke, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Der Tag neigte sich langsam dem Ende zu. Die Dämmerung kündigte sich mit länger werdenden Schatten an. Bis zum Stall hatte sie noch eine lange Strecke vor sich. Im Dunkeln wollte sie nicht reiten.
    Das Handy, das sie zu ihrer Sicherheit mitgenommen hatte, begann zu klingeln. Aber Anke verspürte nicht die geringste Lust, abzuheben. Viel zu sehr war sie mit sich beschäftigt. Sie wollte mit niemandem sprechen. Es dauerte eine Weile, da wandelte sich der Klingelton in einen schrillen Piepston; der

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