Kullmann
Kurt. »Du sitzt genauso dicht am Abgrund, also sei besser still.«
»Oh ja!«, schrie Esche. »Ich werde dich jetzt mitnehmen, genauso wie du es an meiner Stelle getan hättest. Du weißt genau, dass ich die Fingerabdruckkarte vom Fensterrahmen in Luises Zimmer habe!«
Nun war es endlich raus. Kullmann verschlug es die Sprache. Endlich wusste er, was der fehlende Beweis war. Auch ein weiterer Verdacht, der ihn von Anfang an nicht loslassen wollte, bestätigte sich in diesem einzigen Satz. Esche hatte nicht mit der Spurensicherung im Haus Spengler gearbeitet, weil er an diesem Tag Kurt Spengler verhörte. Nur Walter Nimmsgern konnte an dieses Beweisstück gelangt sein.
Spenglers Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Eine Weile schwiegen Vater und Sohn, bis er in die Stille sagte: »Nun weiß ich, dass es ein Fehler war, meinem eigenen Sohn zu vertrauen. Du hattest einfach nicht genug Verstand für das Spiel, das du mit mir spielen wolltest. Leider habe ich das nicht erkannt. Vermutlich deshalb, weil du mein Sohn bist. Diese Tatsache hat mir den Blick für deine wirklichen Fähigkeiten verschleiert.«
Esche sah seinen Vater mit kalten Augen an. Als wenn sich eine Wand zwischen ihm und seinem Vater auftürmte, erstarb ihr Gespräch.
Kullmann verständigte die Kollegen, die die beiden Männer abholen sollten. Anschließend las er beiden ihre Rechte vor und wartete, bis sie aus seinem Büro verschwunden waren.
Kurze Zeit später trafen Anke und Erik ein.
Sie fanden Kullmann erschöpft an seinem Schreibtisch vor. Seine Gesichtsfarbe war aschfahl und seine Wangen eingefallen. Eine Hand legte er auf die linke Brustseite und schaute unentwegt unter sich. Anke zögerte nicht lange, ging an seinen Schreibtisch und reichte ihm die Nitroglyzerin-Tabletten, die er jetzt brauchte. Dankbar schaute er sie an, nahm eine Tablette und legte sie unter seine Zunge.
Farbe kehrte in sein Gesicht zurück.
»Woher wissen Sie, was ich brauche?«, fragte Kullmann immer noch ganz verwundert.
»Ich weiß noch sehr genau, wie Sie in Ihrem eigenen Haus überfallen worden sind und anschließend so wie jetzt aussahen. Damals erzählten Sie mir, dass Sie an Angina pectoris leiden. Die Herzarterie kann sich plötzlich verstopfen oder verkrampfen. Das Nitroglyzerin legt man unter die Zunge und die Arterien werden dadurch in Sekundenschnelle erweitert. Das habe ich mir gut gemerkt, falls wieder ein Notfall eintreten sollte. Und genau das ist gerade geschehen!«, erklärte Anke.
Diese Fürsorge tat Kullmann gut. Er dankte ihr mit einem anerkennenden Lächeln.
»Was bin ich froh, dass ich Sie habe! Das war knapp. Ich möchte gerne noch meinen Ruhestand genießen können. Dieser Überfall hätte das um ein Haar verhindert.«
»Welcher Überfall?«, fragten Anke und Erik wie aus einem Mund.
Kullmann erholte sich schnell und war wieder ganz der Alte: »Ich mache euch einen Vorschlag: Anke kocht uns einen guten Kaffee und dann erzähle ich euch die ganze Geschichte!«
Während der Kaffee durch die Maschine knatterte, berichtete Kullmann von Esches Überfall. Abschließend bemerkte er: »Ich wurde gerade vom Krankenhaus angerufen. Dort lässt er sich seine gebrochenen Arme schienen. Aber morgen früh kommt er zum Verhör.«
Anke und Erik lachten und meinten: »Haben Sie ihm so zugesetzt?«
»Oh ja! Ich habe ihm den Schirmständer auf den Kopf schlagen wollen, aber er hat ihn mit seinen Armen abgewehrt. Gott sei Dank! Wer weiß, wie der Kampf sonst ausgegangen wäre!«
Anke schüttelte den Kopf: »Sie darf man nicht unterschätzen. Es ist nicht das erste Mal, dass Sie einen Gegner besiegt haben!«
Kullmann lächelte. Aber bei der Erinnerung an dieses Geschehen konnte ihm das Lächeln vergehen. Esche war zu allem entschlossen. Diese Erkenntnis erschütterte ihn immer noch.
Als der Kaffe in ihren Tassen dampfte, erinnerte Erik ihn an sein Versprechen, ihnen die ganze Geschichte zu erzählen.
Froh über diese Ablenkung begann Kullmann zu sprechen: »Nach Jürgens Bemerkung, das Winterberg-Krankenhaus habe versucht, ihm aufzuzählen, wann Steven Dienhardt nach Schlägereien dort in der Notaufnahme behandelt worden sei, habe ich nach den genauen Behandlungszeiten des Jungen gefragt und mit Erstaunen festgestellt, dass er ein hervorragendes Alibi hatte. Er war jedes Mal in stationärer Behandlung, wenn ein Kollege erschossen wurde!«
»Und trotzdem haben Sie ihn suchen lassen?«, staunte Erik.
»Ja. Esche durfte nicht merken, dass diese
Weitere Kostenlose Bücher