Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur
Tatsache, daß diese Leute etwas schaffen konnten, das auf
so aufschlußreiche Weise von ihren eigenen grauenvollen
Handlungen zeugte; daß sie ein Werk vollbringen konnten, das
auf so menschliche Weise an ihre Unmenschlichkeit gemahnte. Ich hatte
sie dessen nicht für fähig gehalten, nach allem, was ich
gelesen und gesehen hatte, und es paßte mir nicht, daß
ich überrascht worden war.
Ich verließ die Insel und ging am rechten Ufer in Richtung
Louvre; dann wanderte ich durch seine Galerien und Säle,
betrachtend, ohne etwas zu sehen, nur um zu versuchen, meinen inneren
Frieden wiederzufinden.Ich ließ meine
Drüsen eine Ladung Ganzruhigjetzt * ausstoßen, um den Vorgang zu beschleunigen, und als ich zur
Mona Lisa gelangte, war ich schon wieder ziemlich gefaßt. Die Giaconda war eine Enttäuschung; zu klein, zu dunkel und
umringt von Menschen und Kameras und Sicherheitsvorrichtungen. Die
Dame lächelte gelassen hinter einer dicken Glasscheibe.
Ich fand keinen Sitzplatz, und allmählich taten mir die
Füße weh, deshalb spazierte ich hinaus in die Tuilerien,
entlang breiter und staubiger Avenuen zwischen kleinen Bäumen,
bis ich schließlich eine Bank an einem achteckigen Wasserbecken
fand, wo kleine Jungen und ihre Peres Modelljachten segeln
ließen. Ich sah ihnen zu.
Liebe. Vielleicht war es Liebe. Konnte das sein? Hatte sich Linter
in jemanden verliebt, und machte sich das Schiff Sorgen, daß er
aus diesem Grund womöglich nicht mehr von hier weg wollte, falls
und wenn er es müßte? Nur weil Tausende von
gefühlvollen Geschichten so anfangen, bedeutete das nicht,
daß so etwas nicht auch tatsächlich geschah.
Ich saß an dem achteckigen Becken und dachte über
derlei Dinge nach, und derselbe Wind, der mir die Haare zauste,
ließ die Segel der kleinen Jachten flattern und schlagen, und
in dieser unsteten Brise stachen sie durch das gekräuselte
Wasser, um gegen die Wand des Beckens zu prallen oder von pummeligen
Händchen gepackt und wieder hüpfend hinaus über die
Wellen geschickt zu werden.
Ich drehte meine Runde zurück über den Platz der
Invaliden mit den mehr erfaßbaren Kriegstrophäen; alte
Panther-Panzer und reihenweise alte Kanonenrohre, die wie Leichen
gegen eine Wand gelehnt waren. Ich aß in einer kleinen
verrauchten Kneipe in der Nähe der Metrostation St. Sulpice zu
Mittag; man saß auf hohen Hockern an einer Theke, und die
Bedienung suchte einem ein Stück rotes Fleisch aus und legte es
bluttriefend auf einen Rost über einer offenen Feuergrube, die
mit glühender Holzkohle gefüllt war. Das Fleisch brutzelte
direkt vor den Augen des Gastes, während dieser seinen Aperitif
trank und Bescheid sagte, wenn er das Gefühl hatte, daß
das Fleisch gut sei. Sie nahmen meins immer wieder vom Rost und
wollten es servieren, und jedesmal sagte ich: »Non non, un
peu plus… s’il vous plait.«
Der Mann neben mir verzehrte seins roh, aus der Mitte trat noch
Blut aus. Nach einigen Jahren Zugehörigkeit zum Kontakt
gewöhnt man sich an so etwas, aber ich war trotzdem
überrascht, daß ich dort sitzen und das ertragen konnte,
besonders nach dem Mahnmal. Ich kenne sehr viele Leute, die allein
bei dem Gedanken daran schon aus dem Häuschen geraten
wären. Wenn ich es mir recht überlege, mußte es
bestimmt einige Millionen Vegetarier auf der Erde geben, die
gleichermaßen angeekelt gewesen wären (ob sie wohl unser
in Bottichen gezogenes Fleisch essen würde, frage ich mich).
Der schwarze Rost über der Holzkohlengrube erinnerte mich
ständig an die Gitter in der Gedenkstätte, aber ich hielt
einfach den Kopf gesenkt und aß mein Gericht, oder zumindest
das meiste davon. Ich trank auch ein paar Gläser roten Landwein,
den ich auf mich wirken ließ, und als ich mit der Mahlzeit
fertig war, fühlte ich mich einigermaßen wiederhergestellt
und ziemlich mit meiner Umgebung im Einklang. Ich erinnerte mich
sogar ans Zahlen, ohne dazu aufgefordert zu werden (ich glaube, man
gewöhnt sich kaum jemals an das Kaufen von Dingen), und
spazierte hinaus in den hellen Sonnenschein. Ich ging wieder
zurück zu Linters Wohnung, wobei ich mir unterwegs Schaufenster
und Gebäude anschaute und versuchte, auf der Straße nicht
überfahren zu werden. Ich kaufte mir eine Zeitung, um zu sehen,
was unsere arglosen Gastgeber für berichtenswerte Nachrichten
hielten. Es ging ums Öl. Jimmy Carter versuchte, die Amerikaner
zu überreden, weniger Benzin zu verbrauchen, und die Norweger
hatten eine Bohrturm-Explosion in der Nordsee
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