Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur
erlitten. Das Schiff
hatte beide Themen in einer seiner aktuelleren Übersichten
erwähnt, aber es wußte natürlich, daß
Carters Maßnahmen nicht ohne drastische Gesetzesänderungen
greifen würden und daß bei dem Bohrturm ein Teilstück
verkehrt herum eingebaut worden war. Ich suchte mir auch eine
Zeitschrift aus; als ich also wieder bei Linter ankam, umklammerte
ich ein Exemplar des Stern und erwartete, daß ich
unverrichteter Dinge wegfahren müßte. Ich hatte mir
halbherzig bereits einen Plan zurechtgelegt: nämlich auf der
Fahrt nach Berlin die Gräber des Ersten Weltkriegs und die alten
Schlachtfelder zu besuchen und so das Thema Krieg, Tod und
Gedenkstätten während des gesamten Weges zur zerrissenen
Hauptstadt des Dritten Reiches zu verfolgen.
Doch Linters Wagen stand in dem Innenhof, neben dem Volvo geparkt.
Sein Automobil war ein Rolls-Royce Silver Cloud; das Schiff fand es
richtig, uns großzügig auszustatten. Jedenfalls behauptete
es, eine Schau abzuziehen sei als Tarnung besser, als zu versuchen,
nur ja nicht aufzufallen; besonders der westliche Kapitalismus
erlaubte den Reichen immerhin einen so großen Spielraum
für ihr Verhalten, daß unsere möglicherweise
seltsamen fremdweltlichen Eigenarten damit erklärlich waren.
Ich ging die Treppe hinauf und drückte auf den Klingelknopf.
Ich wartete eine Weile, während ich Geräusche in der
Wohnung hörte. Eine flüchtige Wahrnehmung auf der anderen
Seite des Innenhofs nahm kurz meine Aufmerksamkeit in Anspruch, und
ich verzog das Gesicht zu einem grimmigen Lächeln.
Linter, der nicht lächelte, erschien an der Tür; er
hielt sie für mich auf und verneigte sich leicht.
»Miss Sma. Das Schiff hat mir Ihren Besuch
angekündigt.«
»Hallo.« Ich trat ein.
Die Wohnung war entschieden größer, als ich erwartet
hatte. Es roch darin nach Leder und neuem Holz; sie war hell und
luftig und hübsch eingerichtet und voller Bücher,
Schallplatten, Kassetten, Zeitschriften, Gemälden und Objets
d’art, und es sah ganz und gar nicht so aus wie die Wohnung,
die ich in Kensington hatte. Diese hier sah bewohnt aus.
Linter forderte mich mit einer Handbewegung auf, in einem
schwarzen Ledersessel am einen Ende eines Perserteppichs, der einen
Teakholzboden bedeckte, Platz zu nehmen, und ging zu einer Hausbar,
wobei er mir den Rücken zudrehte. »Was trinken
Sie?«
»Whisky«, antwortete ich. »Mit oder ohne e vor dem
y.« Ich setzte mich nicht, sondern wanderte in dem Raum hin und
her und sah mich um.
»Ich habe Johnny Walker Black Label.«
»Sehr gut.«
Ich beobachtete, wie er mit einer Hand die eckige Flasche
umfaßte und eingoß. Dervley Linter war größer
als ich und ziemlich muskulös. Dem geübten Augen entging
nicht, daß etwas mit der Form seiner Schulter nicht ganz
stimmte – nach erd-menschlichen Maßstäben. Er beugte
sich über die Flaschen und Gläser wie etwas Bedrohliches,
als ob er den Drink mit Gewalt von einer Stelle zu einer anderen
befördern wollte.
»Mit was drin?«
»Nein, danke.«
Er reichte mir das Glas, bückte sich zu einem kleinen
Kühlschrank, nahm eine Flasche heraus und goß sich selbst
ein Budweiser ein (ein echtes, aus der Tschechoslowakei). Als die
kleine Zeremonie des Einschüttens schließlich beendet war,
setzte er sich. Auf einen Bauhaus-Stuhl, der original aussah.
Sein Gesicht war ruhig, ernst. Jeder Zug forderte für sich
die besondere Aufmerksamkeit; der große, bewegliche Mund, die
geblähte große Nase, die hellen, aber tiefliegenden Augen,
die dichten Theaterschurken-Augenbrauen und die ungewöhnlich
gefurchte Stirn. Ich versuchte mich zu erinnern, wie er früher
ausgesehen hatte, konnte mich aber nur noch dunkel entsinnen, so
daß es unmöglich war zu beurteilen, wieviel seines
jetzigen Aussehens von seiner sozusagen ›normalen‹
Erscheinung übernommen worden war. Er rollte das Bierglas
zwischen seinen großen Händen hin und her.
»Das Schiff ist offenbar der Ansicht, daß wir
miteinander sprechen sollten«, sagte er. Er kippte etwa die
Hälfte des Bieres in einem einzigen Schluck hinunter und stellte
das Glas auf einen kleinen Tisch aus poliertem Granit. Ich stellte
meine Terminal-Brosche ein. »Und Sie meinen nicht, daß wir
das tun sollen?«
Er spreizte die Hände weit, dann faltete er sie vor der
Brust. Er trug zwei Teile eines teuer aussehenden schwarzen Anzugs,
Hose und Weste. »Ich denke, es dürfte sinnlos
sein.«
»Nun, ich weiß nicht… Muß denn alles einen
Sinn haben? Ich dachte… das
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