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Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur

Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur

Titel: Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Banks
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wie Musik, wie ein einziger ununterbrochener
Klangfluß.
    Andererseits war die Bevölkerung offenbar nur sehr
zögernd bereit, sich einer anderen als ihrer eigenen Sprache zu
bedienen, auch wenn die technischen Voraussetzungen bestanden, und es
schien in Paris sogar noch weniger Leute zu geben, die willens und
fähig waren, englisch zu sprechen, als es umgekehrt in London in
bezug auf Französisch der Fall war. Vielleicht ein
post-imperialer Snobismus.
    Ich stand im Schatten von Notre Dame und dachte angestrengt nach,
während ich diesen langweiligen Kitsch aus braunem Stein
betrachtete, der die Fassade ausmacht (ich ging nicht hinein; ich
hatte die Nase voll von Kathedralen, und zu jener Zeit ebbte sogar
mein Interesse an Burgen stark ab). Das Schiff wollte, daß ich
mit Linter sprach, aus Gründen, die mir unverständlich
waren und die mir zu erklären es nicht bereit war. Niemand hatte
den Burschen gesehen, niemand hatte ihn anrufen können, und
niemand hatte während der ganzen Zeit, die wir schon über
der Erde waren, eine Nachricht von ihm erhalten. Was war mit ihm
geschehen? Und was sollte ich in dieser Sache unternehmen?
    Ich spazierte am Ufer der Seine entlang, umgeben von all der
überladenen, schweren Architektur, und überlegte.
    Ich erinnerte mich an den Geruch des Kaffeeröstens (der Preis
für Kaffee stieg zu jener Zeit gerade in schwindelnde
Höhen; die Menschen und ihre Handelswaren!) und an die
Lichtreflexe auf den Pflastersteinen, wenn kleine Männer in die
Gehsteige eingelassene Wasserhähne aufdrehten, um die
Straßen zu reinigen. Sie benutzten alte Lumpen, die sie vor den
Rinnsteinen zusammenknüllten, um das Wasser in diese oder jene
Richtung umzuleiten.
    Trotz meiner fruchtlosen Grübelei war es wundervoll, an
diesem Ort zu sein; die Stadt hatte etwas Ungewöhnliches, etwas,
das einem das Gefühl dafür gab, welche Freude es ist zu
leben.
    Unversehens geriet ich auf den Weg zum flußaufwärtigen
Ende der Île de Cité, obwohl ich vorgehabt hatte, zum
Centre Pompidou zu gehen und dann umzukehren und den Fluß
über die Pont des Arts zu überqueren. Am Ende der Insel war
ein kleiner dreieckiger Park, wie das kleine grüne Vorderdeck
eines Ozeandampfers, der den Bug in das Großstadtwasser der
dreckigen alten Seine reckte.
    Ich ging in den Park, die Hände in den Taschen, ziellos
umherwandernd, und fand eine seltsam schmale und schlichte –
fast bedrohliche – Treppe, die durch die massigen weißen
Steine mit der groben Oberfläche hinunterführte. Ich
zögerte, dann stieg ich hinunter, sozusagen auf den Fluß
zu. Ich kam in einem geschlossenen Innenhof heraus, dessen einziger
anderer Ausgang, den ich entdeckte, ein Stück tiefer an einer
zum Wasser hin abfallenden Böschung war, doch er war durch ein
gezacktes Gebilde aus schwarzem Stahl versperrt. Ich fühlte mich
unbehaglich. Die starre Geometrie des Platzes hatte etwas, das einem
die Empfindung einer Bedrohung, der eigenen Winzigkeit und
Verletzbarkeit eingab; dieses erdrückende Gewicht weißer
Steine ließ einen irgendwie daran denken, wie leicht zermalmbar
menschliche Knochen sind. Offenbar war ich allein. Ich trat, von
zaghafter Neugier getrieben, in die dunkle, schmale Öffnung, die
zurück unter den sonnenbeschienen Park führte.
    Es war das Mahnmal der Deportation.
    Ich erinnere mich an Tausende kleiner Lichter, in Reihen
aufgestellt, entlang eines mit einem Gitter verschlossenen Tunnels,
eine nachgebaute Zelle mit eingemeißelten schönen
Worten… Ich war jedoch irgendwie benommen. Das ist jetzt
über ein Jahrhundert her, aber ich spüre noch immer die
Kälte des Ortes; wenn ich diese Worte ausspreche, fährt mir
ein frostiger Schauder über den Rücken; wenn ich sie auf
den Bildschirm schreibe, dann zieht sich mir die Haut an den Armen,
Waden und Seiten zusammen.
    Die Wirkung blieb so eindringlich, wie sie damals war; die
Einzelheiten waren ein paar Stunden danach ebenso verschwommen, wie
sie jetzt sind und wie sie sein werden bis zu dem Tag, an dem ich
sterbe.

 
    3.2: Ein weiteres Opfer der Doppelmoral
     
    Als ich heraustrat, war ich wie betäubt. Ich war wütend
auf die Menschen, damals. Wütend, weil sie mich überrumpelt
hatten, weil sie mich auf diese Weise berührt hatten.
Natürlich war ich wütend wegen ihrer Dummheit, ihrer
wahnhaften Barbarei, ihres gedankenlosen, tierischen Gehorsams, ihrer
abscheulichen Grausamkeit; all jener Dinge, an die dieser Ort
gemahnte… Was mich aber wirklich zutiefst erschütterte, war
die

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