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Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur

Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur

Titel: Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Banks
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zwischen einem Schnauben und einem Lachen war.
»Zur Abwechslung fühle ich mich endlich einmal lebendig.
Ich möchte bleiben. Ich werde bleiben. Ich werde hier
leben.«
    »Möchten Sie hier sterben?«
    Er lächelte, wandte den Blick von mir ab, sah mich wieder an.
»Ja.« Die Entschlossenheit in seiner Stimme ließ mich
für einen Augenblick verstummen.
    Mir war unbehaglich zumute. Ich stand auf und ging im Zimmer auf
und ab, wobei ich die Bücherregale betrachtete. Er hatte
offenbar so ziemlich die gleiche Menge gelesen wie ich. Ich fragte
mich, ob er alles im Eiltempo in sich hineingestopft hatte oder ob er
einiges auch mit normaler Geschwindigkeit gelesen hatte: Dostojewski,
Borges, Greene, Swift, Lucretius, Kafka, Austin, Grass, Bellow,
Joyce, Konfuzius, Scott, Mailer, Camus, Hemingway, Dante. »Dann
werden Sie vermutlich hier sterben«, sagte ich leichthin.
»Ich nehme an, das Schiff hat die Absicht, lediglich zu
observieren, nicht zu kontaktieren. Natürlich…«
    »Das ist ganz in meinem Sinne. Sehr gut.«
    »Hmm. Nun, es ist noch nicht… offiziell, aber ich…
So wird es wohl laufen, vermute ich.« Ich wandte mich von den
Büchern ab. »Wirklich? Ist das Ihr Ernst, daß Sie
hier sterben wollen? Wie…«
    Er saß nach vorn gebeugt in dem Sessel und strich sich die
schwarzen Haare mit einer Hand aus dem Gesicht, indem er sich mit
beringten Fingern durch die Locken fuhr. Ein silberner Steckstift
schmückte sein linkes Ohrläppchen.
    »Gut«, wiederholte er. »Das ist ganz in meinem
Sinne. Wir würden diesen Ort zerstören, wenn wir uns
einmischten.«
    »Sie werden ihn selbst zerstören, wenn wir es nicht
tun.«
    »Kommen Sie nicht mit solchen Platitüden, Sma.« Er
drückte die Zigarette so kraftvoll aus, daß er sie
zerbrach, obwohl sie nicht einmal zur Hälfte geraucht war.
    »Und wenn sie den Ort in die Luft jagen?«
    »Mmm.«
    »Nun?«
    »Nun was?« wollte er wissen.
    Eine Zweiklangsirene ertönte auf dem Boulevard St. Germain.
»Vielleicht sind sie auf dem besten Weg dahin. Ich möchte
sehen, wie sie sich selbst zerfressen, vor ihren
eigenen…«
    »Ach, Quatsch!« Sein Gesicht furchte sich vor
Verärgerung.
    »Sie reden Quatsch!« entgegnete ich ihm. »Sogar das
Schiff macht sich Sorgen. Der einzige Grund, warum man dort noch zu
keiner endgültigen Entscheidung gekommen ist, ist der, daß
man genau weiß, wie ungünstig die kurzfristige Auswirkung
eines solchen Schrittes wäre.«
    »Sma, das ist mir gleichgültig. Ich möchte nicht
weg von hier. Ich will nichts mehr zu tun haben mit dem Schiff oder
der Kultur oder irgend etwas im Zusammenhang damit.«
    »Sie müssen verrückt sein. So verrückt wie die
Leute hier. Man wird sie umbringen; Sie werden von einem Lastwagen
zermalmt oder bei einem Flugzeugabsturz zerfetzt oder… kommen
bei einem Brand um oder irgend etwas…«
    »Ich werde meinem Schicksal ins Auge sehen.«
    »Nun… wie ist es mit dem, was als
›Sicherheitsaspekt‹ bezeichnet wird? Was ist, wenn Sie nur
verletzt sind und man Sie ins Krankenhaus bringt? Sie werden nie mehr
herauskommen; nach der ersten Untersuchung Ihrer inneren Organe oder
Ihres Blutes wird man wissen, daß Sie ein Fremdweltler sind.
Das Militär wird sich eingehend mit Ihnen beschäftigen. Man
wird Sie auseinandernehmen.«
    »Das halte ich für unwahrscheinlich, aber wenn es
geschieht, dann geschieht es eben.«
    Ich setzte mich wieder. Ich reagierte genau in der Art und Weise,
wie es das Schiff vorausgesehen hatte. Ich hielt Linter für
verrückt, genau wie es die Willkür tat, und es
benutzte mich für den Versuch, ihn zur Vernunft zu bringen.
Zweifellos hatte das Schiff diesen Versuch bereits selbst
unternommen, aber es lag auf der Hand, daß aufgrund der Natur
von Linters Entscheidung die Willkür am allerwenigsten
Einfluß darauf haben würde. Technisch und moralisch
repräsentierte das Schiff am ausgeprägtesten den
Standpunkt, den die Kultur einzunehmen fähig war, und eben
dieser raffinierte Intellekt hatte das Tier gelähmt, hier an
diesem Ort.
    Ich muß zugeben, daß ich bis zu einem gewissen Grad
Bewunderung für Linters Einstellung empfand, obwohl ich immer
noch der Meinung war, daß er sich sehr dumm verhielt.
Vielleicht war eine eingeborene Person im Spiel, vielleicht auch
nicht; jedenfalls verdichtete sich in mir der Eindruck, daß die
Angelegenheit insgesamt komplizierter war – und schwieriger zu
handhaben. Vielleicht hatte er sich verliebt, aber vermutlich nicht
in etwas so Einfaches wie einen Menschen.

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