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Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur

Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur

Titel: Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Banks
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meinem reifen Mittel-Alter, aber ich muß gestehen, daß
meine Erinnerungen an Berlin in meinem Gedächtnis nicht in einer
normalen, chronologischen Abfolge geordnet sind. Meine einzige
Entschuldigung ist die, daß Berlin selbst so unnormal war
– und doch auf eine so bizarre Weise repräsentativ –,
daß es etwas Unwirkliches hatte; eine gelegentlich makabre
Disney-Welt, die so sehr ein Teil der realen Welt war (und ein Teil der realpolitischen Welt), so sehr eine Kristallisation
all dessen, was diesen Menschen in ihrer Geschichte gelungen war
herzustellen, zu vernichten, instandzusetzen, zu bewundern, zu
verdammen und anzubeten, daß es alles um eine Nuance
überstieg, für das es beispielhaft war und eine klare
– wenn auch in vielen Facetten schillernde – eigene
Bedeutung bekam; eine Summe, eine Antwort, eine Darstellung, die
keine Stadt, die bei Sinnen war, erreichen wollte oder konnte. Ich
sagte bereits, daß wir mehr als an allem anderen an der
irdischen Kunst interessiert waren; nun gut, Berlin war ein
Meisterwerk, ein gleichwertiges Gegenstück zu unserem
Schiff.
    Ich erinnere mich, daß ich durch die Stadt spazierte, bei
Tag und Nacht, und Gebäude sah, deren Mauern immer noch von
Einschüssen durchlöchert waren, die aus einem Krieg
herrührten, der seit mehr als drei Jahrzehnten beendet war.
Beleuchtete Bürogebäude voller Menschen, die ansonsten
keine Besonderheiten aufwiesen, sahen aus, als ob sie mit einem
Sandstrahlgebläse, bei dem die Körner so groß wie
Tennisbälle waren, behandelt worden wären; Polizeiwachen,
Wohnblocks, Kirchen, Parkmauern, selbst die Gehsteige trugen
dieselben stigmatischen Male lange zurückliegender Gewalt, die
Spuren, die Metall auf Stein hinterlassen hatte.
    Ich konnte jene Mauern lesen; konnte anhand der jeweiligen
Zerstörung die Ereignisse eines Tages, eines Nachmittags, einer
Stunde oder auch nur einiger weniger Minuten nachvollziehen. Hier
waren die Geschosse von Maschinengewehren wie ein Sprühhagel
eingeschlagen, leichte Artillerie hatte Kuhlen wie von
Säureeinwirkung geschaffen; schwerere Geschütze hatte
Kerben wie eine Reihe von Axthieben in Eis hinterlassen; hier hatten
Lenkwaffen und kinetische Waffen die Mauern durchbohrt – die
Löcher waren mit Steinen geflickt worden – und lange
Strahlen von gezackten Vertiefungen in das Mauerwerk gegraben; hier
war eine Granate explodiert, und Teilstücke waren in alle
Richtungen geschleudert worden und hatten flache Abschürfungen
des Gehsteigs und Scharten in der Mauer verursacht (oder auch nicht;
manchmal fand sich in einer Richtung gänzlich unberührter
Stein, wie ein Schrapnell-Schatten, wo vielleicht ein Soldat im
Augenblick seines Todes der Stadt sein Abbild aufgeprägt
hatte).
    An einer Stelle, nämlich an einem Bogen einer
Eisenbahnunterführung, waren alle Male in einem krassen Winkel
geneigt und schnitten einen langen Streifen in die eine Seite des
Bogens, trafen auf das Pflaster des Gehsteigs und stiegen auf der
anderen Seite der Nische wieder an. Ich blieb stehen und fragte mich,
was es damit wohl auf sich haben mochte, bis mir einfiel, daß
vor drei Jahrzehnten sich vermutlich einige Soldaten der Roten Armee
dort hingekauert und das Feuer aus einem Gebäude auf der anderen
Straßenseite auf sich gezogen hatten… Ich drehte mich um
und erkannte sogar, aus welchem Fenster…
    Ich fuhr mit der vom Westen betriebenen U-Bahn unter der Mauer
hindurch, durchquerte West-Berlin von einer Seite zur anderen, vom
Halleschen Tor bis Tegel. An der Station Friedrichstraße konnte
man aus der Bahn aussteigen und Ost-Berlin betreten, doch die anderen
Haltestellen unter dem Ostteil waren geschlossen; Wachposten mit
Maschinengewehren standen da und beobachteten den Zug, der durch die
verlassenen Bahnhöfe brauste; ein gespenstischer blauer Schimmer
erhellte diese filmreife Kulisse, und durch das Vorbeirauschen des
Zuges wurden uralte Zeitungen aufgewirbelt und die abgerissenen Ecken
von alten Plakaten hochgeweht, die noch immer an den Wänden
klebten. Ich mußte diese Fahrt zweimal machen, um mich zu
vergewissern, daß ich mir das Ganze nicht einbildete; die
anderen Passagiere hatten jedesmal so gelangweilt und scheintot
ausgesehen, wie es die Fahrgäste aller U-Bahnen stets zu tun
pflegen.
    Manchmal hatte die Stadt selbst etwas von dieser
beängstigenden, geisterhaften Leere. Trotz seiner hermetischen
Eingeschlossenheit war West-Berlin sehr groß und hatte jede
Menge Grünanlagen und Bäume und Seen – mehr als

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