Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur
Verzweiflung
hätte schreien mögen.
Es war die pure Ironie, daß man ausgerechnet in dieser
sogenannten kommunistischen Hauptstadt so stark am Geld interessiert
war; mindestens ein Dutzend Leute traten im Osten an mich heran und
fragten mich, ob ich welches wechseln wollte. Ging es um einen
qualitativen oder quantitativen Wechsel? fragte ich (was bei den
meisten ausdruckslose Mienen zur Folge hatte). »Geld ist ein
Zeichen von Armut«, zitierte ich. Verdammt, man sollte das in
den Stein über der Hangartür jeder AKE
einmeißeln.
Ich blieb einen Monat lang, besuchte alle Touristenattraktionen,
ging zu Fuß und fuhr mit dem Auto sowie mit Bussen und Bahnen
durch die Stadt, segelte auf der Havel und badete darin und ritt
durch die Wälder von Grunewald und Spandau.
Ich verließ die Stadt auf Geheiß des Schiffes in
Richtung Hamburg. Die Strecke führte durch Dörfer, die in
den fünfziger Jahren stehengeblieben waren. Manchmal in den
Fünfzigern des achtzehnten Jahrhunderts; Schornsteinfeger auf
Fahrrädern hatten hohe schwarze Zylinder auf und trugen ihre
schwarzstieligen Besen über der Schulter wie große
rußige Gänseblümchen, gestohlen aus dem Garten eines
Riesen. Ich fühlte mich ziemlich selbstbewußt und reich in
meinem großen roten Volvo.
An jenem Abend ließ ich den Wagen an einer Straße
neben der Elbe stehen. Ein Modul zischte aus der Dunkelheit heran,
dunkel auf dunkel, und brachte mich zum Schiff, das sich zu der Zeit
gerade über dem Pazifik aufhielt, wo es eine Gruppe von
Pottwalen direkt unter sich verfolgte und deren gewaltige,
faßgroße Gehirne mit seinen Effektoren anzapfte,
während sie sangen.
4: Erzketzer
4.1: Minderheiten-Report
Ich hätte wissen müssen, daß ich Li’ndane
nichts über Paris und Berlin hätte berichten sollen, aber
ich tat es trotzdem. Ich schwebte nach einem kurzen Bad im
Schwimmbecken des Schiffs mit ein paar anderen Leuten im AG-Raum. Ich
hatte mich eigentlich mit meinen Freundinnen, Roghres Shasapt und
Tagm Lokri, unterhalten, aber Li war auch dabei und spitzte
angestrengt die Ohren.
»Aha«, sagte er, wobei er herangeschwebt kam und mir mit
einem Finger vor der Nase herumfuchtelte. »So ist das also
damit.«
»So ist das also womit?«
»Mit diesem Mahnmal. Ich verstehe jetzt. Muß
darüber nachdenken.«
»Das Mahnmal der Deportation in Paris; meinst du
das?«
»Die Möse. Genau das meine ich.«
Ich schüttelte den Kopf. »Li, ich habe nicht das
Gefühl, daß ich weiß, wovon du sprichst.«
»Ach, er ist bloß geil«, sagte Roghres.
»Nachdem du das letzte Mal weggegangen ist, hat er dir
unheimlich nachgeschmachtet.«
»Unsinn«, sagte Li und spritzte einen Schwall Wasser in
Roghres Richtung. »Ich spreche von folgendem: die meisten
Mahnmale sind wie steife Schwänze, Obelisken, Säulen.
Dieses Mahnmal, das Sma gesehen hat, ist wie eine Möse; es
befindet sich sogar in einer Gabelung des Flusses, was sehr an einen
Schamhügel erinnert. Daraus, und aus Smas allgemeiner
Einstellung, geht deutlich hervor, daß Sma mit all diesem
Kontakt-Quatsch lediglich ihre Sexualität sublimiert.«
»Na, das ist mir ja ganz neu«, sagte ich.
»Im Grunde genommen willst du nichts anderes, Diziet, als von
einer ganzen Zivilisation gebumst zu werden, von einem ganzen
Planeten. Ich schätze, das macht dich zu einer guten kleinen
Handlangerin des Kontakts, wenn du das anstrebst…«
»Während Li natürlich nur hier ist, um eine
andersfarbige Sonnenbräune zu bekommen«, unterbrach ihn
Tagm.
»… aber ich würde sagen«, fuhr Li fort,
»daß es besser ist, nichts zu sublimieren. Wenn es dir nur
darum geht, einmal ordentlich durchgevögelt zu werden, dann
solltest du genau das bekommen und dich nicht an einer bedeutsamen
Begegnung mit einem hinterwäldlerischen Gesteinshaufen
ergötzen müssen, der von geifernden Todesfanatikern auf
einem letzten Macht-Trip heimgesucht ist.«
»Ich behaupte immer noch, daß du es bist, dem es um
eine ordentliche Vögelei geht«, entgegnete Roghres.
»Stimmt!« rief Li aus, wobei er die Arme weit
ausbreitete, noch mehr Wassertropfen verspritzte und bei null ge
herumzappelte. »Aber ich leugne es wenigstens
nicht.«
»Unser Mr. Ist-Doch-Alles-Ganz-Natürlich!« Tagm
nickte.
»Was hast du gegen das Natürliche?« wollte Li
wissen.
»Ich erinnere mich, daß du neulich noch gesagt hast,
das Problem mit den Menschen sei ihre übertriebene
Natürlichkeit, ihr Mangel an Zivilisation«, erwiderte Tagm
und wandte sich dann an
Weitere Kostenlose Bücher