Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur
verschiebt oder gefoltert
wird oder sich selbst umbringt oder bei einem Autounfall umkommt oder
sich vor der Polizei versteckt oder unter irgendeiner seltsamen
Krankheit leidet oder…«
Wir stießen gegen die weiche, poröse Ansaugwand
(»He, eine Nuckelwand«, kicherte Roghres), und wir drei
prallten ab und schwebten an Li vorbei, der etwas hinter uns in die
entgegengesetzte Richtung unterwegs war, immer noch auf die Wand zu.
Roghres beobachtete, wie er vorbeizog, mit dem beflissenen Interesse
eines Betrunkenen an einer Bar, der eine Fliege auf einem Glasrand
beobachtet. »Total von der Rolle!«
»Wie dem auch sei«, sagte ich im Vorbeischweben.
»Wie kann es dort bei alledem langweilig sein? Es geschieht doch
so viel…«
»Daß es schrecklich langweilig ist. Ein
Übermaß an Langeweile macht nichts interessant,
außer im trockensten akademischen Sinne. Ein Ort ist nicht
langweilig, wenn man angestrengt nach etwas Interessantem suchen
muß. Wenn es an einem speziellen Ort absolut nichts
Interessantes gibt, dann handelt es sich um einen im höchsten
Maße interessanten und dem Wesen nach unlangweiligen Ort.«
Li stieß gegen die Wand und prallte ab. Wir waren langsamer
geworden, hatten innegehalten und kehrtgemacht und waren jetzt wieder
in entgegengesetzter Richtung unterwegs. Roghres winkte Li zu, als
wir an ihm vorbeischwebten.
»Aber«, sagte ich, »die Erde – um es noch
einmal ganz klar auszudrücken – die Erde, wo alles
mögliche geschieht, ist so voller interessanter Dinge, daß
sie langweilig ist.« Ich blinzelte zu Li hinüber.
»Habe ich dich richtig verstanden?«
»So ungefähr.«
»Du bist verrückt.«
»Du bist langweilig.«
4.2: Glückliches Idiotengeplapper
Ich hatte mich einen Tag, nachdem ich Linter in Paris besucht
hatte, mit dem Schiff über diesen unterhalten und danach noch
einige Male. Ich glaube, ich konnte ihm nicht allzuviel Hoffnung
machen, daß der Mann anderen Sinnes werden würde; das
Schiff benutzte seine Betrübnis-Stimme, wenn wir über ihn
sprachen.
Wenn das Schiff gewollt hätte, hätte es sämtliche
Gespräche zu einer rein akademischen Argumentation machen
können, indem es Linter einfach entführt hätte. Je
länger ich darüber nachdachte, desto sicherer wurde ich
mir, daß das Schiff Wanzen oder Mikrodrohnen oder irgend etwas
auf die Bewachung des Mannes angesetzt hatte; beim ersten Hinweis
darauf, daß er mit dem Gedanken spielte zu bleiben, hätte
die Willkür dafür gesorgt, daß sie ihn nicht
verlieren würde, auch wenn er ohne sein Terminal ausging. Soweit
ich wußte, beobachtete sie uns alle, obwohl sie es empört
abstritt, als ich sie deswegen befragte(was Linter
betrifft, reagierte das Schiff ausweichend, und es gibt nichts
Glitschigeres in der ganzen Galaxis als eine AKE, die sich keine
Blöße geben will, deshalb war eine offene Antwort
außer Frage. * Aber ziehen Sie Ihre eigenen
Schlüsse.)
Für das Schiff wäre nichts leichter gewesen, technisch
gesehen, als Linter unter Drogen zu setzen oder ihn von einer Drohne
betäuben zu lassen und ihn zu fesseln und in ein Modul zu
packen.Ich schätze, es hätte ihn sogar von
einem Ort zum anderen verfrachten, ihn hinaufbeamen können wie
in Star Trek (nach Ansicht des Schiffes eine tolle
Klamotte). * Aber ich stellte nichts Derartiges
fest.
Ich bin noch keinem Schiff begegnet – und ich glaube auch
nicht, daß ich einem solchen Schiff begegnen möchte –, das nicht viel stolzer auf seine geistigen
Fähigkeiten als auf seine physikalische Kraft gewesen wäre,
und eine Entführung Linters wäre für das Schiff
gleichbedeutend mit dem Eingeständnis gewesen, daß es
nicht schlau genug war, um den Mann auszutricksen. Zweifellos
würde es sich, so gut es ging, rechtfertigen, wenn es
tatsächlich zu diesem Mittel greifen würde, und bestimmt
würde man es ihm letztendlich nachsehen – kein
Richtergremium anderer Kontaktgehirne würde es vor die Wahl des
Exils oder der Umgestaltung stellen –, aber, mein lieber Schwan,
es würde ganz schön das Gesicht verlieren! AKE können
verdammt gemein zueinander sein, und die Willkür wäre einige Monate lang die Zielscheibe des allgemeinen
Spottes in der Kontakt-Flotte, wenn nicht sogar länger.
»Würdest du auch nur daran denken?«
»Ich denke an alles«, antwortete das Schiff
spitz. »Aber nein, ich denke nicht daran, das zu tun, nicht
einmal als letzten Ausweg.«
Eine ganze Meute von uns hatte King Kong angesehen, und
jetzt saßen wir am
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