Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur
du gekommen bist.« Linter sah
mich kurz an, dann wandte er den Blick wieder ab.
»Es macht mir nichts aus. Das hier ist eine hübsche
Stadt.« Ich zog meine Lederjacke aus und warf sie mir über
die Schulter. Ich trug Jeans und Stiefel, aber eigentlich wäre
es ein Tag für Bluse und Rock gewesen. »Also, wie kommst du
so zurecht?«
»Ich habe noch immer die Absicht, zu bleiben, wenn du dich
danach erkundigst.« Die typische Abwehrhaltung.
»Das habe ich angenommen.«
Er entspannte sich, hustete. Wir überquerten die breite,
leere Brücke. Es war noch zu früh für die meisten
Leute, um schon auf und unterwegs zu sein, und offenbar waren wir
allein im Park. Die sachlichen, eckigen, in Steinsockeln verankerten
Lampen der Brücke zogen langsam an uns vorbei, ein krasser
Gegensatz zu den geschwungenen Formen der seltsamen Statuen.
»Ich… ich wollte dir das hier geben.« Linter blieb
stehen, wühlte in seiner Jackentasche und brachte etwas zum
Vorschein, das wie ein vergoldeter Parker-Füller aussah. Er
drehte den Verschluß ab; wo die Schreibfeder hätte sein
sollen, war eine graue Röhre, bedeckt mit winzigen farbigen
Zeichen, die zu keiner irdischen Sprache gehörten. Ein kleines
rotes Warnlicht blinkte träge. Es sah irgendwie bedeutungslos
aus. Er schraubte den Verschluß wieder auf das Terminal.
»Würdest du es bitte entgegennehmen?« sagte er und
blinzelte mich an.
»Ja, wenn du dir deiner Sache ganz sicher bist.«
»Ich habe es seit Wochen nicht mehr benutzt.«
»Wie hast du das Schiff um ein Treffen mit mir
gebeten?«
»Es schickt Drohnen zu mir herunter, die mit mir sprechen
sollen. Ich habe ihnen das Terminal angeboten, aber sie wollten es
nicht nehmen. Das Schiff will es nicht annehmen. Ich glaube, es
scheut die Verantwortung.«
»Und mir willst du sie aufbürden?«
»Als eine Art Freundschaftsdienst. Ich wäre dir sehr
dankbar, bitte. Bitte, nimm es.«
»Hör mal, warum behältst du es nicht einfach und
benutzt es nicht? Für den Notfall…«
»Nein, nein; nimm es einfach, bitte.« Linter sah mir
einen Moment lang in die Augen. »Es ist lediglich eine
Formalität.«
Ich verspürte das seltsame Verlangen zu lachen, so komisch
klangen diese Worte aus seinem Mund. Statt dessen nahm ich ihm das
Terminal ab und steckte es in meine Lederjacke. Linter seufzte. Wir
gingen weiter.
Es war ein herrlicher Tag. Der Himmel war wolkenlos, die Luft klar
und duftete nach einer Mischung aus Meer und Land. Ich war nicht
sicher, ob das Licht des Nordens tatsächlich etwas Besonderes an
sich hatte; vielleicht sah es nur deswegen so anders aus, weil man
wußte, daß einen nur etwa tausend Kilometer ebenso
klarer, noch frischerer und kälterer Luft vom arktischen Meer
trennten, von den gewaltigen Eisbergen und den Millionen
Quadratkilometern Eis und Schnee. Es war, als befände man sich
auf einem anderen Planeten.
Wir stiegen die Stufen hinauf, wobei es schien, als erforsche
Linter jede einzelne. Ich sah mich um und ließ den Anblick und
die Geräusche und den Geruch dieses Ortes auf mich einwirken, in
der Erinnerung an meine Urlaube, die ich von London aus gemacht
hatte. Ich blickte zu dem Mann neben mir hinüber.
»Weißt du, du siehst aus, als ginge es dir nicht
übermäßig wohl.«
Er begegnete meinen Blick nicht, sondern schien vielmehr irgendein
steinernes Gebilde am Ende des Gehsteigs zu betrachten.
»Nun… nein, ich schätze, man könnte sagen, ich
habe mich verändert.« Er lächelte unsicher. »Ich
bin nicht mehr der Mann, der ich einmal war.«
Etwas an der Art, wie er das aussprach, ließ mich
erschaudern. Er betrachtete erneut seine Füße.
»Hast du vor, hier in Oslo zu bleiben?« fragte ich
ihn.
»Fürs erste ja. Es gefällt mir hier. Es mutet nicht
wie eine Hauptstadt an; sauber und dicht, aber…« Er
verstummte und schüttelte über irgend etwas den Kopf.
»Ich werde jedoch bald weiterziehen, nehme ich an.«
Wir setzten unseren Weg die Stufen hinauf fort. Einige der
Vigoland-Skulpturen bereiteten mir deutliches Unbehagen. Eine Welle
von so etwas wie Widerwillen schwappte über mich, ließ
mich innerlich erstarren; ich empfand eine Art planetarischen Ekel in
dieser nördlichen Stadt. In dieser Welt sprach man jetzt davon,
die B1-Bomber zu verschrotten, um mit den Marschflugkörpern
weiterzumachen. Was als Neutronenbombe angefangen hatte, war zu
Sprengköpfen mit erhöhter Strahlung und verminderter
Druckwelle verharmlost worden. Sie alle waren krank, und er ebenso,
dachte ich plötzlich.
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