Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur
daß
wir im Unterschied zu ihnen keine Pubertät durchmachen. Ich
meine, die Frauen haben ihre Periode, und die Männer haben
diesen Machismo- Quatsch, weil sie alles das tun müssen,
was von ihnen erwartet wird, und das ist bei uns anders; ich meine,
wir haben solche Sachen nicht, wie sie sie haben… Was ich sagen
will, ist, es gibt alle möglichen Dinge, die bei ihnen etwas
bewirken, und wir haben das nicht. Sie. Wir haben sie nicht, und
deshalb können wir auch nie so total am Boden zerstört sein wie sie. Ich glaube, das ist das Geheimnis. Druck und
Tiefschläge und Enttäuschungen. Ich glaube, so hat es mir
jemand beschrieben. Aber ich meine, das ist so ungerecht… Ich
weiß bloß noch nicht, für wen; ich bin noch nicht so
recht dahintergekommen, versteht ihr?«
Ich sah Roghres an, und sie sah mich an. Einige Drogen verwandeln
einen während ihrer Wirkungsdauer in einen plappernden
Schwachkopf.
»Ich habe das Gefühl, daß du etwas weißt,
was du uns nicht verrätst«, sagte Roghres. »Und ich
glaube nicht, daß ich es aus dir herausquetschen werde.«
Sie lächelte. »Ich weiß etwas Besseres; wenn du nicht
damit herausrückst, dann erzähle ich Li, du hättest
mir anvertraut, daß du heimlich in ihn verliebt bist und dich
nur so abweisend gibst, weil du was erreichen willst? Wie findest du
das?«
»Das erzähle ich meiner Mama, und die ist
größer als deine.«
Roghres lachte. Sie nahm Djibards Hand, und sie erhoben sich
gemeinsam. Sie entfernten sich, wobei Roghres Djibard führte,
die beim Weggehen sagte: »Weißt du, ich glaube es liegt
daran, daß wir im Unterschied zu ihnen keine Pubertät
durchmachen. Ich meine, die Frauen…«
Eine Drohne, die mit leeren Gläsern vorbeikam, murmelte:
»Djibard-Papperlapapp«. Ich lächelte und ließ
die Füße ins warme Wasser baumeln.
4.3: Abtragung
Ich war ein paar Wochen lang in Auckland, dann in Edinburgh und
anschließend wieder auf dem Schiff. Die eine oder andere Person
fragte mich nach Linter, aber offenbar hatte sich herumgesprochen,
daß ich zwar wohl etwas wußte, aber mit niemandem
darüber zu sprechen gedachte. Trotzdem kam mir niemand deswegen
unfreundlicher vor.
Unterdessen hatte Li eine großangelegte Kampagne gestartet,
um das Schiff dazu zu bringen, ihn ohne Veränderungen die Erde
besuchen zu lassen. Sein Plan war, aus den Bergen herabzusteigen; er
wollte sich auf einem hohen Gipfel absetzen lassen und sich dann
talwärts bewegen. Er erklärte dem Schiff, daß das
sicherheitstechnisch vollkommen unbedenklich wäre, zumindest im
Himalaya-Gebirge, denn wenn er gesehen würde, würden ihn
die Leute für den Yeti halten. Das Schiff sagte, es wolle
darüber nachdenken (was gleichbedeutend mit einem Nein war).
Gegen Mitte Juni forderte mich das Schiff plötzlich auf,
für einen Tag nach Oslo zu gehen. Linter hatte darum gebeten,
mich zu treffen.
Ein Modul ließ mich an einem strahlenden Frühmorgen in
der Nähe von Sandvik im Wald aussteigen. Ich erwischte einen
Bus, der ins Zentrum fuhr, und spazierte zum Frogner-Park. Ich fand
die Brücke über den Fluß, die Linter als Treffpunkt
vorgeschlagen hatte, und setzte mich auf die Brüstung.
Im ersten Moment erkannte ich ihn gar nicht. Normalerweise erkenne
ich Leute an ihrem Gang, und Linters Bewegungen und seine Haltung
hatten sich verändert. Er sah dünner und blasser aus, sein
Körper war nicht mehr so auffällig und eindrucksvoll. Er
trug denselben Anzug wie in Paris, doch er wirkte jetzt etwas
sackartig und leicht ärmlich an ihm. Er blieb einen Meter vor
mir stehen.
»Hallo!« Ich streckte ihm die Hand hin. Er
schüttelte sie und nickte.
»Schön, dich wiederzusehen. Wie geht es dir?« Seine
Stimme klang schwächer, irgendwie nicht mehr so sicher.
Ich schüttelte den Kopf und lächelte.
»Hervorragend, wie sonst?«
»O ja, natürlich, wie sonst.« Er wich meinem Blick
aus.
Ich fühlte mich etwas unbehaglich, ihn so vor mir stehen zu
sehen, also glitt ich von der Brüstung und stellte mich vor ihn
hin. Er kam mir kleiner vor, als ich ihn in Erinnerung hatte. Er rieb
sich die Hände, als ob ihn fröre, und blickte die breite
Straße hinauf, mit den eigenwilligen Vigoland-Skulpturen, die
sich gegen nördlich-blauen Morgenhimmel abhoben. »Hast du
Lust, ein bißchen spazierenzugehen?« fragte er.
»Ja, laß uns ein wenig laufen.« Wir setzten uns
über die Brücke in Bewegung, in Richtung der ersten Stufen
auf der anderen Seite des Obelisken und des Brunnens.
»Vielen Dank, daß
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