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Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur

Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur

Titel: Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Banks
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daß es so ist«, sagte
Linter. »Du hältst mich für verrückt, nicht
wahr?«
    »Na gut.« Ich blieb auf halber Höhe einer Treppe
stehen und wandte mich zu ihm um. »Stimmt. Ich halte dich
für verrückt, weil… du soviel wegwirfst. Es ist eine
irrsinnige Idee, die in deinem Kopf herumspukt, es ist töricht.
Es ist, als ob du das alles nur tust, um die Leute zu ärgern, um
das Schiff auf die Probe zu stellen. Willst du seinen Zorn
heraufbeschwören, oder was?«
    »Natürlich nicht, Sma.« Er machte ein verletztes
Gesicht. »Das Schiff ist mir ziemlich gleichgültig, aber
ich habe mir Sorgen gemacht… Es ist mir nicht gleichgültig,
was du denkst.« Er nahm meine Hand in seine beiden. Sie
fühlten sich kalt an. »Du bist eine Freundin. Mir liegt
viel an dir. Ich möchte niemanden beleidigen; dich nicht und
auch sonst niemanden. Aber ich muß das tun, was ich dem
Gefühl nach für richtig halte. Das ist sehr wichtig
für mich, wichtiger als alles andere, das ich bisher je gemacht
habe. Ich möchte niemandem Kummer bereiten, aber… Hör
mal, es tut mir leid.« Er ließ meine Hand los.
    »Ja, mir tut es auch leid. Aber es ist wie eine
Verstümmelung. Wie eine ansteckende Krankheit.«
    »Ach, wir sind die ansteckende Krankheit, Sma.« Er
drehte sich um und ließ sich auf der Treppe nieder, den Blick
zurück zur Stadt und zum Meer gerichtet. »Wir sind
diejenigen, die anders sind, wir sind die Selbstverstümmler, die
Selbstverstümmelten. Hier fließt die Hauptader; wir sind
lediglich schlaue Sprößlinge; Kinder mit einem
ausgezeichneten Baukasten. Sie sind echt, weil sie so leben, wie sie
müssen. Wir sind es nicht, weil wir so leben, wie wir
wollen.«
    »Linter«, sagte ich und setzte mich neben ihn. »Das
hier ist ein verdammtes Tollhaus, das Land der Gehirnverfinsterung.
Dies ist der Ort, der uns den Gedanken der Gegenseitigen Abschreckung
beschert hat; sie haben Menschen in kochendes Wasser geworfen, um
Krankheiten zu heilen; sie wenden die Elektro-Schock-Therapie an;
eine Nation mit einem Gesetz gegen grausame und ausgefallene
Bestrafungsmethoden tötet Menschen durch elektrische
Stromstöße…«
    »Weiter; erwähne auch die Vernichtungslager«, sagte
Linter und blinzelte in die blaue Ferne.
    »Dieser Ort war niemals das Paradies. Er wird es auch niemals
werden, aber möglicherweise macht er Fortschritte. Du gibst alle
Vorteile auf, die wir über deren bis jetzt erreichten Stand
hinaus erzielt haben; und du beleidigst sowohl die Leute hier als
auch die Kultur.«
    »Oh, ich bitte um Verzeihung.« Er schaukelte in der
Hocke nach vorn und schlug sich die Arme um den Leib.
    »Der einzige Weg, den die Menschen beschreiten können
– um zu überleben –, ist derselbe, den wir
zurückgelegt haben, und du tust das alles als große
Scheiße ab. Das ist eine Flüchtlings-Mentalität, und sie werden dir für diese Einstellung nicht danken. Sie werden sagen, daß du spinnst.«
    Er schüttelte den Kopf; die Hände hatte er in den
Achselhöhlen vergraben, und er starrte noch immer in die Ferne.
»Vielleicht müssen sie nicht dieselbe Strecke gehen,
vielleicht brauchen sie keine Denkmaschinen, vielleicht brauchen sie
nicht mehr und noch mehr Technologie. Vielleicht schaffen sie es
selbst, sogar ohne Kriege und Revolutionen… einfach durch
Verständnis, durch… Glauben. Durch etwas
Natürlicheres, als wir begreifen können. Natürlichkeit
ist etwas, das sie noch begreifen.«
    »Natürlichkeit?« sagte ich mit erhobener Stimme.
»Diese Bande hier wird dir erzählen, daß alles natürlich ist; sie werden dir erzählen, daß
Habgier und Haß und Eifersucht und Verfolgungswahn und
gedankenlose religiöse Ehrfurcht und Gottesfurcht und der
Haß auf jeden, der eine andere Hautfarbe hat oder anders denkt, natürlich seien. Fressen oder gefressen werden, jeder ist
sich selbst der nächste, dem Erfolgreichen gehört die
Welt… Verflucht, die Leute hier sind so überzeugt von dem,
was sie für natürlich halten, daß man sogar von den
Intelligentesten zu hören bekommt, das Leiden und das Böse
seien natürlich und nötig, weil es sonst nicht die Freude
und das Gute gäbe. Sie werden von jedem ihrer verkommenen,
blödsinnigen Systeme behaupten, es sei das natürliche und
einzig wahre, der einzige richtige Weg; für sie ist alles
natürlich, was dazu dient, daß sie sich in ihrer eigenen
unbarmherzigen Ecke durchschlagen und alle anderen im Dreck verrecken
lassen können. Sie sind im Vergleich zu uns kein bißchen
natürlicher als

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