Kultur für Banausen - alles was Sie wissen müssen, um mitreden zu können
Perspektiven gleichzeitig abzubilden, nämlich den Unterkörper und das Gesicht im Profil, den Oberkörper frontal. Diese Gleichzeitigkeit unvereinbarer Perspektiven beschäftigt auch Picasso bei den Demoiselles. (Später malte er Porträts seiner Geliebten Dora Maar mit zwei Gesichtern, eines im Profil, eines frontal gesehen.) Er löst die Gestalten in kubische, also rechteckige Formen auf. Ihnen verdankt der Stil seinen Namen: Kubismus. Picasso verzichtet damit ganz auf den Eindruck der Perspektive – wie im Mittelalter. Die Früchte auf dem wie hochgeklappt wirkenden Tisch im Vordergrund müssten eigentlich hinunterrutschen. Dieses Bild versucht nicht mehr, unser Auge zu täuschen, es seziert vielmehr den Prozess des Sehens in unserem Gehirn.
Nebenbei sind Picassos Damen als Seitenhieb auf das zwei Jahre zuvor fertiggestellte Werk mit dem Titel »Die großen Badenden« seines Malerkollegen Paul Cézanne (1839–1906) zu verstehen. Bei Cézanne werden die Formen bereits schematischer, aber er beachtet noch immer die Gesetze der Perspektive. Picasso wollte Cézanne mitteilen: »Du bist nicht weit genug gegangen.« Man könnte sagen, Cézanne schloss 1905 das 19. Jahrhundert in der Kunst ab, Picasso begann 1907 das 20. Jahrhundert.
Übrigens hatte Picasso ein paar bevorzugte Motive, an denen man ihn erkennen kann: den Harlekin (als solchen malte er 1923 seinen Sohn Paolo in neoklassizistischer Manier), den Stierkampf (er war schließlich Spanier) und in seiner kubistischen Phase Violine und Gitarre. Entdecken Sie irgendwo in einem Museum ein Bild von in kubische Formen aufgelösten Musikinstrumenten, können Sie mit einiger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es entweder von Picasso oder von seinem Mitkubisten Georges Braque stammt.
Kandinsky entdeckt die Abstraktion
Sie mögen den nächsten Schritt ahnen: Wenn man die Formen immer weiter auflöst, wird man am Ende nichts Gegenständliches mehr erkennen können. Es geht dann nur noch um das Sehen und nicht mehr um die Darstellung. Es war naheliegend, dass die Künstler diesen Weg zu Ende gingen. Der Erste, der dies mit aller Konsequenz tat, war der in München lebende Exilrusse Wassily Kandinsky (1866–1944). Seine Werke heißen »Durchgehender Strich«, »Weißes Oval« oder »Schwarzer Fleck«. Teilweise sind sie durchnummeriert als »Improvisation« oder »Komposition«. Bei der »Komposition IV«, heute in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, meint der Betrachter noch Berge, Lanzen und drei rotbemützte Kosaken zu sehen. Vielleicht aber glauben wir das nur, weil Kandinsky dem Bild den Beinamen »Die Schlacht« gegeben hat. Mit der »Komposition V« sind wir endgültig in der Abstraktion angekommen. Bei Werken der abstrakten Kunst sollte man eigentlich gar nicht erst versuchen herauszufinden, was sie darstellen könnten. Denn das isteben der entscheidende Schritt der Abstraktion: dass sie sich von den Gegenständen löst und nur noch Form ist. Zugegeben: Ein Maler wie Kandinsky macht einem die Ablösung nicht einfacher, wenn er seiner »Komposition VI« den Beinamen »Die Sintflut« gibt. Aber am besten lässt sich der Betrachter von so etwas nicht irritieren.
Kandinsky gehörte im Übrigen einer Münchner Künstlergruppe an, die sich »Der blaue Reiter« nannte (unter anderen zusammen mit Gabriele Münter, Alexander von Jawlensky, Franz Marc und August Macke) – sie verstand sich als Gegenbewegung zur schon erwähnten expressionistischen »Brücke« aus Dresden.
Mit der Abstraktion und Kandinsky schließt dieser Überblick über die Geschichte der Malerei. Aber die Kunst entwickelte sich natürlich weiter. Wie? Das erfahren Sie im folgenden Kapitel Moderne Kunst.
Zehn weitere wichtige Maler
1. Guiseppe Arcimboldo (1526–1593). Seine aus Früchten und Gemüse zusammengesetzten Gesichter faszinieren bis heute. Diese assoziativen Stillleben der etwas anderen Art sehen lustig aus, machen Appetit und sind ein Gegenentwurf zur harmonisch-klassischen naturgetreuen Nachbildung in der Renaissance.
2. Peter Paul Rubens (1577–1640). In Amsterdam betrieb Rubens eine große, erfolgreiche Malerwerkstatt, sodass Kunsthistoriker oft nicht genau wissen, welche Werke ihm und welche seinen Schülern und Gehilfen zuzuordnen sind. Barocktypisch malte er gern mollige Damen – die deshalb noch heute Rubensfrauen heißen.
3. Canaletto (ca. 1722–1780). Er ist berühmt für seine sogenannten Veduten, das sind realistische,
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