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Neuerungen waren nicht gern gesehen. Die etablierten Künstler organisierten sich in sogenannten Salons. Hier gaben akademisch geprägte Historienmaler den Ton an und bestimmten als Mitglieder einer Jury, wer an den offiziellen Ausstellungen teilnehmen durfte – und damit eine Chance hatte, seine Bilder zu verkaufen. Natürlich gab es hin und wieder Maler, die dagegen rebellierten. Der eher ungehobelt auftretende Gutsbesitzer-Sohn Gustave Courbet (1819–1877) zum Beispiel bezeichnete sich selbst als »einen Sozialisten, einen Demokraten und einen Republikaner, in erster Linie jedoch einen Realisten, das heißt einen leidenschaftlichen Anhänger der reinen Wahrheit«. Leidenschaftliche Anhänger der reinen Wahrheit hatten damals wie heute die gleichen Probleme: Zum einen sind sie bei ihren Mitmenschen nicht sonderlich geschätzt, zum anderen neigen sie zu überhöhtem Selbstbewusstsein. Courbet etwa war so erbost darüber, dass man ihm für die Weltausstellung 1855 einen angeblich zu kleinen Raum anbot, dass er seine Werke in einem eigenen Pavillon unter dem Namen »Le Realisme« ausstellte.
Auf dem Gemälde mit dem schönen Titel »Bonjour, Monsieur Courbet« zeigt sich der Künstler als Wandersmann mit Rucksack, der von zwei Herren ehrerbietig begrüßt wird. Was empörte die etablierten Meister der Akademie an einem solchen Bild? Zunächst natürlich die Selbstüberhöhung des Künstlers. Des Weiteren seine Malweise: »Einem Besucher der Ausstellung, der an die akademischen Glanzstücke gewohnt war, muss dieses Bild einfach kindisch vorgekommen sein. Wo waren die schwungvollen Bewegungen, die feierliche Drapierung, die abgestimmten Farben?«, schreibt Ernst Gombrich, einer der einflussreichsten Kunsthistoriker des 20. Jahrhunderts, in seiner »Geschichte der Kunst«.
Einen ziemlichen Skandal löste Courbet auch mit einem Bild aus, dem er den harmlos klingenden Titel »Der Ursprung der Welt« gab – das sich aber als ganz und gar nicht jugendfrei erwies. Es zeigt eine weibliche Scham.
Auf die Akademiemaler warteten jedoch noch weitere Zumutungen – und zwar aus einer gänzlich anderen Richtung.
In der Alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel in Berlin finden Sie im zentralen Saal für das 19. Jahrhundert ein frühes Gemälde von Claude Monet (1840–1926) aus dem Jahre 1867. Es zeigt die spätgotische Pfarrkirche Saint-Germain-l’Auxerrois im 1. Pariser Arrondissement, direkt gegenüber dem Louvre. Die Kirche selbst und die Häuser zu ihrer Rechten gibt Monet noch ganz in der realistischen Tradition wieder. Man kann die Einzelheiten des Rosettenfensters über dem Haupteingang erkennen und die Schornsteine auf den Dächern zählen. Aber was ist mit den Menschen, die sich auf dem Platz vor der Kirche tummeln? Die Maler der Vergangenheit hätten versucht, auch sie möglichst genau und detailgetreu darzustellen. Nicht so Monet. Seine Figuren sind Farbtupfer, flüchtige Gestalten, deren Schemen wir erkennen, ohne die Einzelheiten wahrzunehmen. Monet musste sich vorwerfen lassen, er sei wohl unfähig, genau zu malen, und schlampe deshalb. In Wirklichkeit steckte dahinter ein Konzept, das erst einige Jahre später seinen Namen erhalten würde.
In den 1840er-Jahren hatte sich die Fotografie rasch verbreitet. Seitdem wurden die Maler für die Wiedergabe der Wirklichkeit nicht mehr gebraucht. Monet und seine Künstlerfreunde Camille Pissarro, Pierre-Auguste Renoir und Alfred Sisley waren die Ersten, die das erkannten. Sie wollten deshalb nicht mehr die Wirklichkeit abbilden, sondern eineWirklichkeit, wie sie sie sahen. Ausgerechnet im Atelier eines Berufsfotografen veranstalteten sie 1874 ihre erste gemeinsame Ausstellung. Eines von Monets Bildern trug den Namen »Impression, soleil levant« (»Impression, Sonnenaufgang«). Der empörte Starkritiker Louis Leroy prägte daraufhin den abfällig gemeinten Namen »Impressionisten«. »Ein vorläufiges Hingekritzel für ein Tapetenmuster ist weiter gediehen als dieses Seestück«, schimpfte er. Pech für Herrn Leroy, denn er ist nach dieser Bemerkung der Nachwelt als Mann mit reaktionärem Kunstgeschmack in Erinnerung geblieben.
Heute, da Monets spätes Lieblingsmotiv, sein Seerosenteich, als Kunstdruck in jedem zweiten Zahnarztwartezimmer hängt, kann man sich die Aufregung um diese Art von Bilder gar nicht mehr recht vorstellen. Dabei sollte man sich allerdings vor Augen halten, wie viele Menschen noch heute empört reagieren, wenn sie zum Beispiel ein Bild
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