Kultur für Banausen - alles was Sie wissen müssen, um mitreden zu können
französischen Forscher Joseph Nicéphore Niépce (1765–1833) erfunden worden war. Niépce bannte das Bild eines Scheunentors seines Anwesens mithilfe einer Camera obscura nach acht Stunden Belichtungszeit auf eine Zinnplatte. Auf dem Foto war nicht viel zu erkennen – aber solche Unzulänglichkeiten sind nicht selten, wenn große Erfindungen gemacht werden. (Die ersten Testworte, die Philip Reis über sein neu erfundenes Telefon sprach, lauteten angeblich: »Das Pferd frisst keinen Gurkensalat.«) Eine Camera obscura ist übrigens ein dunkler Kasten, in den durch ein kleines Loch Licht einfällt. Schon Aristoteles wusste, dass man auf diese Weise ein naturgetreues Abbild von Objekten auf die Rückwand des Kastens projizieren kann, wenngleich dieses Bild seitenverkehrt ist und auf dem Kopf steht.
Die Erfindung der Fotografie muss in der Luft gelegen haben, denn Niépces Landsmann Louis Jacques Mandé Daguerre (1787–1851) gilt ebenfalls als ihr Erfinder, obwohl er sein erstes Foto über zehn Jahre später machte – allerdings war sein Verfahren besser. Die beiden Erfinder arbeiteten zunächst zusammen. Nach dem Tod Niépces (und einer kleinen Intrige Daguerres) nannte alle Welt die neue Methode, Bilder auf eine Platte zu bannen, Daguerrotypie. Daguerre wurde ein reicher und berühmter Mann.
Zwei Richtungen: Kunst und Dokumentation
Kaum war die Fotografie erfunden, entwickelte sie sich in zwei Richtungen, die im Folgenden näher erläutert werden. Außerdem stellen wir noch zwei Sonderwege vor.
Die beiden Hauptrichtungen der Fotografie waren und sind: Kunst und Dokumentation. Wie fast überall gibt es natürlich auch hier Überschneidungen, dennoch lassen sich diese beiden Kategorien gut zur Beurteilung von Fotografien heranziehen. Das gilt auch für all jene Fotos, die wir – mehroder weniger laienhaft – selbst erstellen: Die Nahaufnahme eines Schneekristalls fiele in die Kategorie »Kunst«, die Fotos von Tante Helgas und Onkel Herberts Silberner Hochzeit in die Kategorie »Dokumentation«.
Fotografie als Kunst
Fotografie als Kunst bedeutete zunächst, dass die Fotografen mit den Malern konkurrierten. Sie wollten eigene künstlerische Werke schaffen, weshalb sie ihre Motive kunstvoll arrangierten. Wenn man Kunstfotografien aus der Zeit um etwa die Mitte des 19. Jahrhunderts betrachtet, fällt auf, dass sie Menschen in gestellt wirkenden, überinszenierten Alltagsszenen zeigen. Das liegt daran, dass sich viele frühe Fotografen der Kunstrichtung der Präraffaeliten verbunden fühlten, die einer kruden Mischung aus Romantik, Naturalismus und mystischer Überhöhung anhingen.
Der erste Kunstfotograf, dessen Namen Sie sich merken sollten, wurde allerdings eher durch seine Seebilder berühmt. Sie erinnern an die Malerei der Romantik, einer Epoche, die damals gerade zu Ende gegangen war. Dieser Fotograf hieß Gustave Le Gray (1820–1882). Er wurde zum gemachten Mann, nachdem ihn Kaiser Napoleon III. zu seinem Hoffotografen ernannt hatte. Zudem erfand Le Gray eine der ersten Methoden der Bildbearbeitung: Er montierte zwei Negative zusammen, um zum Beispiel Wolken und Schiffe mit unterschiedlicher Belichtungszeit auf ein Bild zu bekommen.
Ein Fotograf, der über ein halbes Jahrhundert später ebenfalls von der Kunst seiner Zeit geprägt wurde, war Man Ray (1890–1976), ein Amerikaner, der eigentlich Emmanuel Rudnitzky hieß. Man Ray begeisterte sich sowohl für die Surrealisten und Dadaisten als auch für Marcel Duchamps Theorievom Ready-made als Kunstwerk (siehe das Kapitel Moderne Kunst). Rays Bilder zeichnen sich durch Dunkelkammerexperimente aus, die das Motiv in verzerrter Perspektive wiedergeben.
Ganz anders sind die Porträtfotografien des Deutschen August Sander (1876–1964) zu verstehen. Gut möglich, dass Sie seine Aufnahmen schon einmal in einem Geschichtsbuch über die Weimarer Republik gesehen haben. Sanders großes Projekt war ein Zyklus von »Aufnahmen deutscher Menschen des 20. Jahrhunderts« mit dem Titel »Antlitz der Zeit«. Er inszenierte die Menschen, die er fotografierte, und stellte sie in typischen Posen auf: den wohlbeleibten Konditor mit der Rührschüssel, den Kohleschlepper mit seiner Last oder die rauchende Intellektuelle mit Bubikopffrisur.
Was Sander für die Zwischenkriegszeit war, sind zwei Frauen für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Porträts der Amerikanerin Annie Leibovitz (*1949), eine der bestbezahlten Fotografinnen der Welt, und der Deutschen
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