Kultur für Banausen - alles was Sie wissen müssen, um mitreden zu können
gegeben haben, die etwas pikant Offensichtliches zu verschleiern scheinen. Mal hat das Werk des Bildhauers Giovanni Lorenzo Bernini (auch Gianlorenzo; 1598–1680) den Titel »Mystische Vision der Heiligen Theresa von Avila«, mal »Mystische Vereinigung der Heiligen Theresa mit Gott«, mal »Die Entrückung der Heiligen Theresa«. Am bekanntesten ist es als »Die Verzückung der Heiligen Theresa«. Die Skulptur zeigt die heilige Theresa, wie ihr ein Engel den Pfeil der göttlichen Liebe in das Herz bohrt. Als ich vor einigen Jahren bei einem Rombesuch vor der Figur der hingestreckten Heiligen im fließenden Gewand stand und ihren Gesichtsausdruck erblickte, dachte ich wahrscheinlich das Gleiche wie viele zehntausend Kunstliebhaber vor mir: Diese Theresa erlebt einen Orgasmus! Was immer da dem großen Barockkünstler Bernini als Vorbild diente: eine verzücktere »Verzückung« hat die Kunstgeschichte nicht aufzuweisen. So viel Schamlosigkeit findet sich erst in der Moderne wieder.
Die Preußenprinzessinnen Luise und Friederike dagegen umarmen sich in einer Skulptur von 1795 des klassizistischen deutschen Bildhauers Johann Gottfried Schadow (1764–1850)mit solch liebreizender Unschuld, wie man sie in Wirklichkeit nicht einmal im puritanischsten Mädcheninternat finden würde. Mit der Unschuld Friederikes war es in der Tat nicht weit her. Die von ihrem versoffenen Ehemann vernachlässigte Prinzessin führte ein recht unstandesgemäßes Liebesleben.
Der Weg in die Moderne
Das 19. Jahrhundert beschert uns unzählige Helden- und Herrscherdenkmäler, das Hermanns-Denkmal mitten im Teutoburger Wald, am Deutschen Eck bei Koblenz das Kaiser-Wilhelm-I.-Denkmal und überhaupt in jedem Kleinstädtchen Kaiser-Wilhelm- oder Bismarck-Denkmäler. Da diese aus kunsthistorischer Sicht eher weniger zu bieten haben, lassen wir lieber die Moderne heraufdämmern und wenden uns einem großen Franzosen zu. Nein, nicht Napoleon, der in seinem Land ebenfalls an allen Ecken und Enden zum Denkmal erstarrte, sondern Auguste Rodin (1840–1917). Sein wichtigstes Werk kennen Sie mit großer Wahrscheinlichkeit: ein nackter muskulöser Mann, auf einem Felsen kauernd, das Kinn auf der Handoberfläche ruhend – »Der Denker«. Diese Figur verweigert sich dem klassischen Schönheitsideal. Die Oberfläche ist nicht makellos und glatt, die Körperhaltung nicht aufrecht und selbstbewusst. »Auch das Hässliche ist schön«, wird Rodin zitiert. Eine Aussage, die als Leitspruch die Moderne beschreiben könnte. Bei seinen Auftraggebern fand Rodin damit zunächst wenig Anklang. So 1886, als er im Auftrag des Rates von Calais ein Heldendenkmal für einige Bürger schaffen sollte, die sich im Mittelalter bei einer Belagerung der Stadt als Geiseln nehmen ließen und Calais damit vor der Plünderung bewahrten. Statt heroischer Gestalten präsentierte der Künstler barhäuptige Menschen in zerrissenen Gewändern mit einem Strick um den Hals. Immerhin nahmen die Stadtväter das Werk mit dem Titel »Die Bürger von Calais« an, stellten es jedoch auf einen Sockel und verbannten es auf einen abseitigen Platz.
Von Rodin gibt es einen bronzenen nackten »Schreitenden Mann«, dem der Kopf und die Arme fehlen – ein Torso. Das ist natürlich zunächst eine Anspielung auf die Antike, aus der uns viele bildhauerische Werke nur als Torso überliefert sind. Aber Rodin wollte mehr damit ausdrücken. Als man ihn fragte: »Warum hat die Figur keinen Kopf?«, antwortete er: »Braucht man zum Gehen einen Kopf?« Klar, in Wirklichkeit schon. Aber Rodin kam es auf die Abstraktion an.
Und damit sind wir mitten im zentralen Thema der Moderne, wo uns in der Bildhauerei unter anderen bekannte Maler wie Paul Gauguin, Henri Matisse und Picasso begegnen. Sie alle interessierten sich für die Form an sich und nicht mehr dafür, möglichst genau einen menschlichen Körper nachzubilden. In diesem Zusammenhang seien auch die runden Formen der Plastiken von Henry Moore erwähnt.
Von hier führt uns der Pfad der modernen (und postmodernen) Kunst weit über die Bildhauerei hinaus. Ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verschmolzen Installation und Skulptur. Wir lernen durch Installationen, was Raum bedeutet und wie wir ihn mit Objekten oder nur mit Licht füllen können. Von der »Venus von der Alb« bis zu den Licht-Raum-Installationen eines Dan Flavin zum Beispiel hat die Kunst einen weiten Weg zurückgelegt.
Zehn namhafte Bildhauer
1. Phidias (5. Jhr. v. Chr.).
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